Im vorhergehenden Artikel habe ich einige Vertreter des Liberalismus 1.0 vorgestellt, deren Ideen eine Grundlage für eine Kooperation und/oder Integration mit der vierten Position bilden können.
Das Gros seiner Vertreter, insbesondere Hans-Hermann Hoppe und Janusz Korwin-Mikke, kann man unter dem okkulten Begriff „Pfad der rechten Hand“ zusammenfassen. Dieser bedeutet: Aufbau und Erhalt eines gemeinsamen familiären Erbes, strenge Sittsamkeit mit einer Form von Kriegerethik, Familiensinn, Disziplin sowie Verurteilung von Perversion und Ausschweifung. Sein Ziel ist der Aufbau und Erhalt der Ordnung sowie die Vermeidung von Chaos.
Dies trifft auch den Charakter vieler Libertärer gut, die sich eigentlich ein ruhiges, abgeschiedenes Leben wünschen, dass sie als „Mensch oberhalb der Zeit“ verbringen und damit „fernab des Kulturverfalls sowie der Zerstörung“ leben können. Deshalb sind Fälle wie die Lykovs (eine Familie von Altgläubigen in Russland, die in Folge der Revolution floh und sich in die Einöde von Sibirien zurückzog und erst in den 1990er Jahren vom Staat wiederentdeckt wurde) so faszinierend für Libertäre, da sie ihre Ursehnsucht verkörpern.
Doch dies stellt nur einen Aspekt des Liberalismus 1.0 dar, denn darüber hinaus gab es auch einige Libertäre, die für Traditionalisten insofern interessant sind, als dass ihre Philosophie den zerstörerischen „Pfad der Linken Hand“ inklusive der Infragestellung gesellschaftlicher „Irrglauben“ darstellte. Einer ihrer bekanntesten Vertreter war Jack Parsons, der das Jet Propulsion Lab leitete, welches den Keim der Raumfahrtbehörde NASA bildete. Die meisten wissen von Parsons nur, dass er versuchte, in einem okkulten Ritual eine Mondgöttin zu zeugen und halten ihn deswegen für verrückt. Doch in diesem Fall trügt der Schein.
Parsons war nicht nur Raketenforscher, Ufologe und Philosoph, sondern auch Anhänger des Okkultisten Aleister Crowley. Darüber hinaus war er ein Grenzgänger zwischen den politischen Theorien und ursprünglich Sozialist. Da er aber vom autoritären Charakter der UdSSR enttäuscht war, wechselte er ins libertäre Lager. Parsons vertrat die Ansicht, dass die Ideen der US-Gründerväter der perfekte Ausdruck des thelemischen „wahren Willens“ gewesen seien.
Er glaubte aber nicht an ein „American Empire“, sondern war der Meinung, dass die gegenwärtigen USA die Prinzipien des Liberalismus 1.0 verraten würden. Er ging davon aus, dass sich die Vereinigten Staaten langsam zu einem totalitären, imperialistischen Staat entwickeln würden, welcher nur noch dem Namen nach freiheitlich sei. Dem Liberalismus wohnt in seinen Augen das Potenzial inne, sogar zu einem schlimmeren Totalitarismus zu werden, als es die anderen beiden politischen Theorien der Moderne (Kommunismus und Faschismus) waren, den Liberalismus 2.0 unserer Tage.
Gerade wegen des Abstiegs in den Totalitarismus würde der Staatsapparat der USA zur ineffizienten „Bananenrepublik“ verkommen. Die Polizei würde nur noch so tun, als ob sie für Sicherheit sorge, aber in Wahrheit gar nichts gegen Schwerkriminelle tun können. Stattdessen würden sozial Abgehängte und die schwarze Bevölkerung mit aller Härte drangsaliert werden, um vorzutäuschen, dass man sich um die Sicherheit der Bevölkerung kümmere.
Ähnlich wie die meisten anderen Vertreter des „Liberalismus 1.0“ und die Existenzialisten glaubte er daran, dass Frieden mit Verantwortung einhergehe. Im Gegensatz zu den meisten seiner „Kollegen“ vertrat er aber die Ansicht, dass Verantwortung nicht nur Eigenverantwortung einschließt, sondern auch Verantwortung für das Gemeinwesen. Wenn die Menschen dies nicht beachten würden, wäre politische Stabilität nur durch die Ausschaltung des Individuums und der Etablierung eines umfassenden Kontrollapparates möglich, was es selbstverständlich zu verhindern gälte.
Obwohl der erste Teil seines Werkes “Freedom is a two edged sword” (1990) stellenweise wie eine typische Verteidigung des lockeanischen Minimalstaats klingt, war er kein Befürworter eines solchen Staatswesens. Stattdessen glaubte er, dass auch ein Minimalstaat die Freiheit des Menschen nicht schützen könne. Er war hingegen der Meinung, analog zu Stirner und Nietzsche, dass ein Mensch, der frei sein will, nicht darauf warten darf, dass ihm andere die Freiheit geben. Er muss sich stattdessen selbst seine Freiheit gegen alle Widerstände erkämpfen. Wer ewig darauf wartet, dass der Staat ihm die Freiheit schenkt, wird für immer Sklave bleiben.
Der zweite Teil seines Hauptwerks handelt von der Befreiung der Weiblichkeit. Dabei spricht er aber nicht von einer weiteren Spielart des liberalistischen Feminismus. Im Gegenteil geht es um die gegenseitige Ergänzung von Männlichkeit und Weiblichkeit. Darin beschreibt er die Frau als Verkörperung des Shakti-Prinzips mit Begriffen wie “Feuer” und “Flammendes Schwert”. Kurz zusammengefasst läuft seine Sicht der Geschlechter darauf hinaus, dass Männer und Frauen sich dabei gegenseitig helfen sollen, ihr Potential zu entfalten. Parsons beschrieb das Geschlechterverhältnis mit dem Gleichnis “der Mann ist der Krieger und Held, die Frau ist seine Hohepriesterin”.
Was Parsons als Geschlechterverhältnis im Sinn hatte, war also das krasse Gegenteil vom feministischen Geschlechterkampf, Konkurrenz um Karrieren, und Paranoia vor “toxischer Männlichkeit”, “Rape Culture” etc. Parsons sah Mann und Frau als Ergänzungen, die einander brauchen, sich helfen und sich gegenseitig zu neuen Höhen antreiben müssten, nicht als gefährliche Monster, die voreinander geschützt werden müssten. Und beide Geschlechter sollten ein Leben leben können, welches von “feuriger Leidenschaft”, Emotion und gegenseitigem Vertrauen geprägt ist, und kein tristes Leben als emanzipierte Karrierefrauen und Lohnsklaven in den seelenlosen Fabriken der Bourgeoisie.
Jack Parsons war auch ein Anhänger der “heiligen Sexualität” wie sie unter anderem im indischen Tantra praktiziert wird. Und genau wie dieser Lehre und wie linken Philosophen wie Wilhelm Reich und Georges Bataille geht es auch Jack Parsons darum, mit Hilfe von Extase innere Konflikte, Hemmungen, Blockaden und Beschränkungen zu überwinden. Diese bilde damit auch die Grundlage für mehr Freiheit.
Hier muss aber gesagt werden, dass diese Träume in der sogenannten “Sexuellen Revolution” der 68er-Generation nicht verwirklicht wurden, sondern die Menschen durch den Liberalfeminismus und dessen Doktrinen sogar noch eine deutlich neurotischere und gestörtere Sexualität entwickelten als zur Zeit der Puritaner. An diesem Punkt muss man sich die Frage stellen, wie es dazu kommen konnte. Ein Grund wird sicherlich sein, dass die heutige feministische Sicht auf Liebe und Sexualität von der liberalen Doktrin des unabhängigen Individuums geprägt ist und deshalb solche “Begierden” vor allem als potenzielle Bedrohung der individuellen Freiheit angesehen werden. Wahrscheinlich boomt wegen der Doktrin des unabhängigen Individuums auch die Pornographie, weil diese eine Form von Sexualität darstellt, in der der Einzelmensch keinen Partner braucht und deshalb komplett unabhängig ist.
Parsons Denken zeigt ebenfalls Anteile eines deutlich von Nietzsche geprägten, antichristlichen Vitalismus, wie er auch von großen Teilen der Neuen Linken an den Tag gelegt wurde. Doch ist diese negative Handlung gegenüber dem Christentum wirklich noch berechtigt? Denn der Machtverlust der christlichen Kirchen seit 1945 hat nur zur Desintegration der Gesellschaft geführt, zu mehr Materialismus, und dazu, dass politische Ideologien wie der Liberalismus 2.0 als Ersatzreligion den Platz des Christentums eingenommen haben, die von Nietzsche kritisierte Sklavenmoral und Opfermentalität miteingeschlossen. Einen derartig extremen kulturellen und gesellschaftlichen Umbau, wie ihn der Liberalismus 2.0 plant, hatten die Christen niemals im Hinterkopf. Stattdessen hatten sie bewusst versucht, an die römisch-griechische Tradition anzuknüpfen.
Jack Parsons war auch im Gegensatz zu den meisten Liberalen beileibe kein Anhänger der Aufklärung und ihrer totalitären “instrumentalen Vernunft”. Er meinte stattdessen, ein zu großes Vertrauen auf die Vernunft würde in einer Vermeidung des Unbekannten und Unerklärlichen münden.
Parsons Ideen und Leben beeinflussten den 1961 von seinem Freund Robert Heinlein geschriebenen Roman “Ein Fremder in einer fremden Welt”. In diesem Buch verkündet ein Astronaut eine neue sexualmagische Religion und wird später zum Erlöser der Menschheit. Dieser Roman hatte einen massiven Einfluss auf die Hippiekultur. Ebenfalls besitzt das 15. Kapitel von Eduard Limonows 2006 erschienenem Buch “Das andere Russland” erstaunliche Parallelen zu Heinleins Ideen und wirkt stellenweise wie eine Kombination von Heinleins Werk mit den frühsozialistischen Ideen Charles Fouriers.