Inspirierende Lektüre, ein faszinierendes Buch: ich hatte dieser Tage eine Rezension des neuesten Buches von Alexander Dugin zu schreiben; sie erscheint in der nächsten Ausgabe der „Deutschen Stimme“: „Eurasische Mission. Eine Einführung in den Neo-Eurasianismus“.
Dazu sollte man wissen: Dugin, Jahrgang 1962, ist weder der „Einflüsterer“ Putins noch „Putin´s brain“, wie westliche Miethirne bisweilen halluzinieren. Richtig ist lediglich, daß Dugin, der sich im postsowjetischen Rußland bereits in den neunziger Jahren einen Namen als patriotisch-revolutionärer Vordenker gemacht hatte, um die Jahrtausendwende Berater des damaligen Duma-Sprechers Gennady Selesnow war. Er gehörte damals zu den ersten, die das Konzept einer „multipolaren“ Weltordnung als Alternative zur US-dominierten „One World“ ins Gespräch brachten. Seither schrieb er rund zwei Dutzend Bücher und gilt heute als durchaus prominenter Ideengeber.
„Eurasische Mission“ zieht gewissermaßen ein Resümee seiner geopolitischen Überlegungen der letzten zwanzig Jahre und spitzt sie vor dem Hintergrund des aktuellen Krieges in der Ukraine zu. Diesen sieht Dugin keineswegs als „Angriffskrieg“, sondern als zwangsläufige und überfällige Folge fortgesetzter westlicher Provokationen. Sein tieferer Sinn aber ist die finale Auseinandersetzung mit dem Westen und seinen tragenden Ideen.
Hier bringt Dugin als Alternative zur westlichen Dollar-Globalisierung den „eurasischen Gedanken“ ins Spiel, der bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert formuliert wurde: „Eurasien“ als Konzept einer organisch gewachsenen, friedlichen Großraumordnung – ohne Ausrottungskriege, Sklaverei, kulturelle Nivellierung und ökonomische Ausplünderung wie im Westen. Dabei macht Dugin kein Hehl daraus, daß das „Eurasien“-Konzept die spezifische russische Konstellation widerspiegelt, die keine „weiße“ und erst recht keine „nationalistische“ ist – sie hat vielmehr zu reflektieren, daß das heutige Rußland nicht zuletzt aus der Jahrhunderte währenden Überlagerung durch mongolische und türkische Einflüsse hervorgegangen ist und deshalb „sowohl europäische als auch asiatische Züge aufweist“.
Das mag man gut finden oder auch nicht. Es ändert nichts daran, daß der „eurasische“ Entwurf heute von Rußland als praktikabler und auch bereits in Umsetzung begriffener Gegenentwurf zum Krebsgeschwür der US-dominierten Globalisierung zur Diskussion gestellt wird. Die neue Ost-West-Konfrontation hat die Entwicklung beschleunigt und die Formierung eines neuen eurasischen Blocks unter Einschluß Chinas, Indiens und des Iran forciert. Darüber hinaus steht die neue eurasische Allianz auch allen anderen offen, die die westliche Globalisierung und die weltweite US-Dominanz ablehnen. Dugin sieht in ihr geradezu eine „revolutionäre Allianz“, die „auf die Zerstörung des gegenwärtigen globalen Systems und den Sturz der Macht der globalen Oligarchie und ihres Gefolges“ abzielt.
Nota bene: konventionelle „Nationalismen“ sind hier fehl am Platz. Dugin hält sie zurecht für Ausformungen des bürgerlichen Kapitalismus des 18. und 19. Jahrhunderts und empfiehlt stattdessen eine neue „multipolare“ Ordnung, die sich eher an geographisch-kulturell definierten Großräumen orientiert. Bemerkenswert: selbst die EU mit ihrer Tendenz zur übernationalen Staatsbildung hält Dugin in diesem Zusammenhang für hilfreich – sie könne immerhin dazu beitragen, daß Europa im eigenen geopolitischen Umfeld wieder zu einer eigenständigen, von den USA unabhängigen Rolle finden kann. Man muß hinzufügen: aber nicht in ihrer aktuellen Form. Die EU ist derzeit nichts weiter als ein transatlantischer Wurmfortsatz.
Dugin macht sich ohnehin keine Illusionen: mit dem amerikanischen Welt-Hegemon wird es keine friedliche Koexistenz geben. Denn dieser duldet keine autonomen Kulturen, Völker und Wirtschaftsräume neben sich. Die USA sind das „Land des absoluten Bösen“. „Das amerikanische Imperium sollte zerstört werden, und früher oder später wird es das auch.“
Solche und viele andere Feststellungen sind für westliche, auch deutsche Leser zugegebenermaßen starker Tobak – zumal der Autor den klassischen Nationalstaat ausdrücklich für überholt erklärt. Andererseits verfügt gerade Deutschland mit dem Heiligen Römischen Reich über eine jahrhundertealte Reichsvision, die mit Dugins eurasischem Konzept viele Berührungspunkte aufweist. Selbst das Dritte Reich wuchs nach 1938 und mit der Fortdauer des Krieges zwangsläufig in eine übernational-großeuropäische Rolle hinein, die völkische Exklusivität zunehmend obsolet machte.
Vor der Kulisse der neuen Spaltung der Welt sollte man Dugins Stimme einfach zur Kenntnis nehmen. Es gibt nicht nur den Westen. Vermutlich wird es den Westen in seiner gegenwärtigen Form ohnehin nicht mehr lange geben. Überhaupt: wer von der NATO, von Schwulenparaden und Gender-Wahn genug hat, wird hier viel Zustimmenswertes finden. Alles andere wird sich weisen. Vieles spricht dafür, daß Dugin recht behalten wird. Das „multipolare“ Zeitalter steht erst am Anfang, und die Krise des Westens nimmt gerade erst Fahrt auf.
(11.09.2022)
Originalort des Facebook-Beitrages mit Diskussion
Erschien in Deutsche Stimme September/Oktober 2022