Thomas Teufel: Urbanismus und organischer Aufbau (20.03.2023)

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Konstantin Alexejewitsch Wassiljew: Северная легенда (Nordische Legende)

Vorwort

Die Frage nach dem menschlichen Dasein ist eine Frage nach seiner Umgebung und des damit verbundenen Lebensstils. Bereits viele Denker der Konservativen Revolution wie auch Akteure der Neuen Rechten erkannten das Wesen der Idee des Individuums als einen Verlust der Erde, die zugleich zu einen Verlust der sozialen Bindungen führte. Dieser Verlust der Erde spiegelt sich im Urbanismus und in der Degradierung des Landes sowie der regionalen Kultur wider. Hier soll versucht werden, das Wesen des Urbanismus in seiner Monotonie zu umschreiben; gleichzeitig soll das Wesen der Städte als regionale Zentren der Kulturen neu gedacht werden.

Bauerntum und Bürgertum

Wie bereits Carl Schmitt in seinem Werk „Land und Meer“ (1) beschrieb, bringt jeder Raum einen eigenen Kulturtyp hervor. Der Mensch findet sich in einen Raum mit geografischen Bedingungen und klimatischen Gezeiten, welchen er sich über lange Zeiträume sowohl von der Mentalität wie auch von seiner Erfahrung der Welt und seiner täglichen Tätigkeit anpasst, um ein spezifisches Gemüt auszubilden.

Neben diesen Zusammenhang der Welt und des in ihr wirkenden Gemüts, kommt man auch zu den Leitfiguren als Träger eines bestimmten Raumgefühls. Die Grundform des Raumverständnisses war in der traditionellen Welt das Bauerntum, alle anderen Stände gingen mehr oder weniger aus diesem hervor, und es war auch der Kern stetiger Erneuerung der höheren Eliten. Der Bauer stand in seiner Existenz in fester Abhängigkeit zu den Naturzyklen und innerhalb eines Ausgleichs von Mensch und Umwelt. Dies brachte einen gewissen fürsorglichen Konservatismus mit sich und führte zugleich den Menschen zu der Frage nach den letzten über ihn liegenden Dingen. Diese Neigung zum Religiösen findet sich sowohl in Formen des Aberglaubens, wie aber auch in den höheren Formen der Lehren der Mystik wieder. (2)

Das Bürgertum entstand ursprünglich aus dem Wesen des Handels und der daraus entstehenden Zentren; seine Bindungen der festen Verortung wurden zunehmend ersetzt durch den Faktor der Mobilität, bis dieses gänzlich andere Lebensmodell schließlich – bei gleichzeitiger Entfernung der höheren Stände der traditionellen Welt von der bäuerlichen Basis – selbst zum Prinzip werden sollte. Wie Alexander Dugin beschrieb, fand die liberale Ideologie im Bürgertum ihren klarsten Ausdruck (3), in dem das Bürgertum über den reinen Handel die festen Grenzen ablöste und eine verallgemeinerte Kategorie des reinen Erwerbs hervorbrachte. Dem Bürger als neuen Kulturtypus fehlte der grundlegende Boden, in dem er verwurzelt wäre; er ist darum in seinen Grundformen kosmopolitisch und legte von der Stufe des modernen Nationalstaates bis zur Globalisierung den Grundkurs der Moderne.

Die Welt des Bürgers besteht aus einer indirekten Beziehung gegenüber der Umwelt, die sich über die Unternehmungen anstelle der bodenständigen Verwurzelung darstellt. Sowohl die Natur wird hierdurch zum Mittel reiner Erträge ohne Rücksicht auf die Herkunft, wie auch das konservative Empfinden zu einer reinen Sicherung der Mehrung von Absätzen degeneriert. Schlussendlich weicht die natürliche Neigung des Menschen zur Religion dem Kult der Eitelkeit des Egos. Ich erwähnte bereits, daß jeder Raum einen Kulturtyp hervorbringt und wiederum jede Leitfigur auch seinen Raum ausbildet; der bürgerliche Raum findet sich am Ende in Form der urbanen Zentren vollendet. Die Großstadt ist das Zentrum der Mobilisierung umliegender Kräfte durch die Neuanordnung rein rationalisierter Produktion. Zugleich ist der Urbanismus eine Art steriler Rahmen gegenüber der als hinderlich angesehenen Bindungen an die Umwelt.

Freiheit und Bindungslosigkeit

Dies führt zu einer differenzierten Konzeption der Freiheit; das Bauerntum war bestimmt durch die Fürsorge für den Boden sowie das Denken in Kooperativen. Die Lebensweise, die Tracht, die Kultur waren verbunden mit einer nicht zu trennenden Tätigkeit und Landschaft. Für den Menschen ist immer eine Einfühlung und ein Ausgleich maßgebend; er sieht sich innerhalb eines geteilten Schicksals, und seine Seinsweise trägt die eines zusammenhängenden Ganzen mit der Geschichte des vorgefundenen Bodens in sich. In der Gemeinschaft innerhalb eines Erfahrungshorizontes findet der Einzelne seine zu ihm gehörende Stellung im Kosmos, einen Ausgleich mit den umliegenden Kräften und ein Abbild der erfahrenen Vielgestaltigkeit der Kulturen, die sich durch den Umgang mit der Natur manifestieren.

Die Kultur steht also in einem stetigen Ausgleich zur Natur; die Kultur spiegelt immer wieder die Natur, und die Natur wird zugleich von der Kultur verklärt und nimmt das Antlitz der Natur an. Jene Kräfte, die in einem scheinbaren Widerspruch stehen, einen sich in einer höheren Synthese; so ist die Kultur immer das Leben in der Natur, und die Natur ist immer ein Lebensraum der existenziellen Seinsweise von Ethnien und Völkern, die sie beleben.

Auch die Urbanisierung bringt ihre Natur oder besser Anti-Natur hervor, diese ist jedoch eine Hülle des Funktionalen und der reinen oberflächlichen wie willkürlichen Begegnungen. Wird der Mensch von der Welt isoliert und die Landschaft zerteilt in zusammenhangslose Fragmente, die kein ganzheitliches Gefüge mehr umfassen, so findet man sich im Zustand der Entfremdung wieder. Die vorher harmonische Umgebung weicht einer feindlichen Umwelt, die zu einer stetigen Behauptung des atomisierten Ichs verkommt. Der Mensch ist von seiner Produktion getrennt, wie der Nächste ihm grundlegend nicht mehr Ausgleich ist. Gleichzeitig wird darin aber der Mensch auch selbst immer mehr abgelöst in eine ihm fremde Ersatz-Bindung.

Da der Mensch nicht auskommen kann ohne einen Begriff von Heimat, Welt, Identität usw. wird diese zunehmend durch die Überhandnahme von konsumierbaren Gütern und den Mitteln direkter oder indirekter Konditionierung ersetzt. In der Überhandnahme der Mode anstelle der Tracht, im falschen sozialen Engagement anstelle der geteilten Dimension der Gemeinschaft mit Mensch und Welt und schlussendlich in der Annahme ganzer sozialer Trends, kommt der Mensch in eine Maschinerie, die das Individuum in eine neue nun künstliche kollektive Bindung stellt. Diese Bindung ist der Endpunkt jener bürgerlich sterilen Welt des Individuums, und der Mensch wird dauernder Konsument eines nomadischen rastlosen Selbst. Hierin wird die Großstadt sowohl zum Ersatz in Form einer Welt steter Zerstreuung wie aber auch zu einer Überlagerung der Frage nach der Herkunft selbst.

Der russische Ethnologe Lew Gumiljow beschrieb dies durch das Konzept der Passionarität. Nach diesem geht die Kultur einer Stufe des leidenschaftlichen Willens und einer expansiven selbstbewussten Gestaltung über in den Zustand der Stagnation, bis sie schlussendlich in einen Zustand des reinen Konsums und Egoismus endet. (4) Wo der Individualismus zu Beginn meinte, alles in den Menschen zu verlegen und sich und die Natur von den Bindungen zu erlösen, wird am Ende der Mensch selbst zum reinen Produkt einer zunehmend künstlichen Umgebung und deren Mechanismen. In der heutigen Zeit findet man das Ende dieser Entwicklung: Der Mensch ist entfremdet von allen natürlichen Bezügen und wird durch die neusten Ideen der künstlichen Existenz schrittweise vom Menschsein selbst als letztes Stück seiner Bindung zur Natur abgelöst.

Die Stadt als Zentrum von Kultur und Natur

Es gibt auch Alternativen zu jenen negativen Erscheinungen der Atomisierung, wie sie die heutige Welt kennzeichnet. Hier kann man zum Beispiel auf die Konzepte der Konservativen Revolution zurückgreifen. Die Stadt kann auch als ein Zentrum der umliegenden engeren Lebenskreise mit ihren jeweiligen Qualitäten gedacht werden. Sie kann zu einer Sammlung der regionalen Beschaffenheiten und des damit verbundenen Schatzes des Brauchtums werden. Zum Beispiel kann sich dies durch einen an die Natur und die regionalen Werkstoffe orientierten Baustil ausdrücken. Ähnliches schlug Ernst Rudorff vor, welcher eine Einheit von Architektur, Geschichte und Natur sah (5), um den Menschen wieder zu einer selbstbewussten und patriotischen Lebensweise zu führen.

Die städtischen Zentren könnten somit den Dorfplätzen gleichen, die ein Zentrum von Austausch und Kommunikation im Sinne des Gemeindelebens sind. Hierzu sollten auch Schulen und Institutionen als ein Hort der Sammlung von Geschichte, Folklore und der daraus inspirierten Kunst und Kultur gegründet werden. Man kann sich ebenso auf Denker wie Richard Schapke (6) oder auch Otto Strasser (7) beziehen. Diese sahen die Idee eines körperschaftlichen organischen Staatsaufbaus als ein Mittel gegen die Proletarisierung und Entwurzelung der Massen. Ihr System war kein reiner Konservatismus, sondern entsprach einer kreativen Synthese aus den sozialrevolutionären Bewegungen ihrer Zeit und dem Vorbild der mittelalterlichen Ordnung. (7a) Man sah in Bezug auf die damalige Landvolk-Bewegung eine Erhebung des Bauerntums gegen die starre Bürokratie und den von seinen volkstümlichen Grundlagen abgewandten Lebensstil. Das Land sollte wieder als eine Sammlung nach dem Vorbild freier gemeinschaftlicher Kooperativen organisiert sein im Sinne des Pachtwesens, welches dem Einzelnen ein auf Verantwortung basierendes Eigentum zugesteht. Der Boden wird hierin nicht mehr als reine Ware der Kalkulation abgewertet, sondern als ein überantworteter Anteil innerhalb der Gemeinschaft, in welcher der Einzelne sich auf produktive Weise wieder verorten kann.

Gleichzeitig schlugen Schapke und Strasser auf der politischen Ebene das Konzept der direkten engeren Wahl und der indirekten Vertretung im Staat vor. Die engeren Gemeinschaften entsenden einen Vertreter in die nächste höhere Ebene, und innerhalb dieser findet wiederum eine Bestimmung in die nächstliegende Ebene statt. Entgegen des heutigen Parlamentarismus, der den Gesetzen der Vermarktungstechniken, des Parteiïnteresses und einer anonymen Form der Massendemokratie entspricht, findet hier eine direkte Berufung der Vertretung durch die Charaktere mit den höchsten Ansehen und Qualitäten statt. Durch eine Auslese von unten nach oben wird somit der Staat in ein ideelles aristokratisches Zentrum umstrukturiert, welches zugleich eine große Volksnähe aufweist. Gleichzeitig wird durch die direktere Organisationen der niedrigeren Ebenen die Bürokratie abgebaut und ein starker Staat kann sich auf die wichtigen Gebiete der Außenpolitik, der Souveränität sowie die anderen übergeordneten Angelegenheiten ohne Beeinträchtigung konzentrieren. Besonders in Zeiten des zunehmenden Populismus, der sich nicht mehr zufrieden gibt mit der Ersetzung der Gemeinschaft durch die Verwaltung der Dinge, könnte so ein Modell den Menschen wieder einen Anteil am Politischen geben.

Um den Menschen wieder an die wirtschaftliche Tätigkeit zu binden, könnte man sich an Formen des Syndikalismus orientieren. Der Mensch bekommt einen festen genossenschaftlichen Anteil an dem, was er produziert, und der Unternehmer hat – im Einklang mit der Volkskultur und der Souveränität des Staates – vorrangig dem Wohl der Gemeinschaft zu dienen. Im Kontext der Ideen einer multipolaren Welt führt dies zu autarken Räumen mit Achtung der inneren Vielgestaltigkeit sowie der weitgehenden Selbständigkeit derselben.

Zusammenfassung

Es ist eines der wichtigsten Erfordernisse, die Ideen der Moderne zu überwinden und dadurch die Frage nach der Stellung des Menschen in der Welt zu stellen. Diese Frage erfordert eine maßgebende Kritik des Individualismus und Materialismus, die am Ende zur heutigen Form der Globalisierung und Heimatlosigkeit führten. Hierzu sollte man zuvorderst wieder einen Bezug zur engeren Natur ausbilden. Zu dem sollten aktiv Initiativen gefördert werden, die in der Lage sind, den Menschen wieder das Kulturgut und dies Geschichte derselben zu vermitteln. Die durchaus notwendige höhere wirtschaftliche Tätigkeit sollte auf der Grundlage der engeren Bindung und dem Erhalt der Völker innerhalb eines ausgebildeten Zivilisationskreis organisiert werden. Hierin bietet sich die Idee eines starken selbstbewussten Staatsaufbaus an, der die Notwendigkeiten seinerseits bestimmt und auf der Wahrung der Selbstständigkeit der Regionen in ihren regionalen Angelegenheiten basiert. Durch die Idee der direkten Vertretung und den Erfordernissen der höheren Ebene ist eine Bindung des Kleinsten zum Größten gegeben. Die hohen Ideen, Ideale der zivilisatorischen Identität und Perspektiven gehen einher mit der Gliederung der kleinsten Einheiten und finden über eine Auslese der Besten als neue Elite statt.


Verweise

1. „Der Mensch hat von seinen ,,Raum“ ein bestimmtes Bewusstsein, das großen geschichtlichen Wandlungen unterworfen ist. Den mannigfachen Lebensformen entsprechen ebenso verschiedenartige Räume“ Carl Schmitt – Land und Meer, Seite 52, Klett-Cotta, 2020

2. „Diese seltsam, geistig, leuchtenden Menschen verkörpern eine urchristliche Tradition der religiösen Läuterung und Weisheit. Sie lehnen die Welt nicht ab, vielmehr läutern sie sich selbst, um der Welt im Namen Christi zu dienen. Sie gehen gleichsam zu Gott, um der Menschheit den Weg zu Ihm sicher zu weisen. Sie holen sich im Gebet gleichsam den richtigen Schlüssel für Natur und Mensch“ Iwan Iljin – Wesen und Eigenart der russischen Kultur, Seite 89, Edition Hagia Sophia, 2016

3. „Jedoch war der Bourgeois exakt das beste >>Individuum<<, ein Bürger ohne Klan, Stamm oder Berufsstand, aber mit Privatbesitz. Und diese neue Gesellschaft begann die komplette europäische Gesellschaft umzubauen.“ Alexander Dugin – Das Grosse Erwachen gegen den Great Reset, Seite 10, Arktos, 2021

4. „Wenn im ethnischen System mit der Zeit nur wenig Energie übrig bleibt, wird die führende Rolle in der Gesellschaft von Subpassionaren, den Leuten mit verminderter Passionarität, übernommen. Diese streben danach, nicht nur die unruhigen Passionare, sondern auch die fleißigen, harmonischen Menschen auszuschalten. Nun tritt die Phase der Obskurität ein, in welcher Zerfallsprozesse im ethnosozialen System unumkehrbar werden. Überall herrschen träge und egoistische Leute, die sich nur von der Konsumideologie leiten lassen.“Lew Gumiljow- Von der Rus zu Russland, Seite 21, epubli, 2017

5. „Wenn der Volksinstinkt in seiner pflanzenartigen still fortschreitenden Tätigkeit einmal gewaltsam gestört worden ist, so muß ihm von außen geholfen werden, damit er sich wieder in gesunde Bahnen hineinfinde. Deshalb eben müssen einsichtige Architekten die abgerissenen Fäden wieder aufnehmen und, an das bewährte Alte anknüpfend, gutes Neues hinzunehmend, der ländlichen Bauweise frisches Leben zuführen.“ Ernst Rudorff – Heimatschutz, Seite 84, Reichl Verlag. 1994

6. Richard Schapke – Aufstand der Bauern, Haag + Herchen. 2014

7. Otto Strasser – Aufbau des deutschen Sozialismus, Haag + Herchen. 2013

7a. Peter Töpfer: Reich & Anarchie. Querfront-Zeitschriftenschau: Etappe. Zeitschrift für Politik, Kultur und Wissenschaft, Heft 16, Dezember 2001 / Januar 2002, und Kommune. Forum für Politik, Ökonomie und Kultur, Nr. 3/1995

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