Im nachhinein glaubt man oft klüger zu sein. Aber was hätte man im Juli 1944 tun sollen? Im Westen hatten die Alliierten nach der Landung in der Normandie Fuß gefaßt, warfen jeden Tag riesige Mengen Kriegsmaterial an die französische Küste und rückten auf Paris vor. Im Osten stand die Heeresgruppe Mitte wenige Wochen nach Beginn der langerwarteten sowjetischen Großoffensive vor ihrer Vernichtung. In der Heimat gingen die Städte im alliierten Bombenkrieg unter. Was also tun? Verhandeln?
Nichts war naiver. Die Alliierten hatten sich auf die bedingungslose Kapitulation Deutschlands festgelegt. Die Zeit spielte für sie. Es gab nichts zu verhandeln.
Das hielt den deutschen Widerstand – so heterogen und in sich widersprüchlich er im einzelnen auch war – nicht davon ab, sich nicht nur der Illusion eines Friedensschlusses hinzugeben. Schlimmer noch – im Irrglauben, die Verhandlungsbereitschaft der Westalliierten zu fördern, kam es gerade an der Westfront zu unfaßbarem, verbrecherischem Verrat. Der Stabschef Rommels, General Speidel, einer der Hauptdrahtzieher, wurde dafür später mit dem Posten des NATO-Oberbefehlshabers in Mitteleuropa belohnt. Noch törichter: Stauffenberg selbst ebenso wie andere führende Köpfe des Widerstands lieferten den Alliierten ganze Listen ihrer Mitverschworenen frei Haus, als spätere Ansprechpartner im Fall eines erfolgreichen Putsches.
Doch die Alliierten dachten nicht im Traum daran, mit den Deutschen zu verhandeln. Nicht mit Hitler und nicht mit seinen Gegnern. Als der Anschlag im Führerhauptquartier scheitert, herrscht in London und Washington Erleichterung. Churchill macht am 2. August vor dem britischen Parlament kein Hehl aus seiner Genugtuung über „die Ausrottungskämpfe unter den Würdenträgern des Dritten Reiches“. Schon früher, wenige Tage nach dem gescheiterten Attentat, äußert der stellvertretende Chef des britischen Büros für politische Kriegführung PWE, John W. Wheeler-Bennett, in einem Memorandum: „Durch das Scheitern des Aufstands sind uns (…) Verlegenheiten erspart geblieben, die aus einem solchen Friedensgesuch möglicherweise resultiert hätten. (…) Es ist daher zu unserem Vorteil, daß die gegenwärtigen Verfolgungen weiter andauern, denn das Töten von Deutschen durch Deutsche wird uns künftig vor vielen Verlegenheiten bewahren.“
Um das Maß voll zu machen, liefern die alliierten Nachrichtendienste den deutschen Widerstand jetzt gleich selbst ans Messer – die Gestapo erhält von ihnen die Listen der Verschwörer, die ihnen Stauffenberg und Co. zuvor haben zukommen lassen, frei Haus. Der Putschversuch gegen Hitler wird im Blut ertränkt. Es paßt ins Bild, daß die von Stauffenberg beim Anschlag verwendeten Zünder ebenso wie der verwendete Sprengstoff britischer Herkunft sind. Die Sprengkraft der Bombe ist zu gering berechnet, vermutlich kein Zufall. Hitler überlebt.
Selten sind gutgläubige Narren ärger getäuscht und verraten worden als die Männer des 20. Juli von den Alliierten, den späteren „Befreiern“. Die meisten von ihnen folgten Hitler blindlings, so lange es gut lief, und entdeckten ihre moralischen Bedenken, als der Vormarsch stockte. Der Verrat, den sie an der kämpfenden Truppe verübten, ist beispiellos und macht alles Gefasel vom besseren, vom „heiligen Deutschland“ hinfällig. Als Vorbilder taugen sie nicht.
(20.07.2022)
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