Was der Donbass und Syrien über Rußlands politische Führung lehren könnten
Persönlicher Hinweis: Nach acht Jahren verfasse ich wieder einen Artikel, der sich mit Syrien und Geopolitik beschäftigt. Was bringt einen Deutschen im Rentenalter dazu, sich mit einem fernen Land zu beschäftigen? Nun, Außen- und Sicherheitspolitik sind ein Interessenfeld meines Universitätsstudiums gewesen. Wirksame Risse in meinem sorgfältig durch Naivität und Medienkonsum indoktrinierten Bewußtsein ergaben sich erstmals 1999 mit dem illegalen völkerrechtswidrigen NATO-Angriffskrieg auf Serbien und in dessen Folge mit den imperialistischen Kriegen des Westens im Orient. 2011 bombte die NATO gerade Demokratie und Menschenrechte in das libysche Volk, als ich mit einer Syrerin aus Aleppo bekannt wurde, die mit Geduld die Reste meiner Mauer aus NATO-gefütterter Ignoranz endgültig zum Einsturz zu bringen vermochte. Seitdem bin ich also dran am Thema Syrien. In mehreren Artikeln habe ich u.a. die sehr schmutzige Rolle meines Landes gegen Syrien beackert – so wie dies aus öffentlichen Quellen eben möglich ist. Bestätigt fühlte ich mich 2016 durch den Artikel „Deutschland und die UNO gegen Syrien“ (https://www.voltairenet.org/article190102.html), der die wirklich schmierigen Details dieser Kollaboration der deutschen Regierung mit den Kriegsverbrechern aus Washington offenlegt. Bleibt noch die Frage nach dem „Warum“. Nun,vielleicht ist es die Einsicht in den wahren Charakter der von den VSA gelenkten ‚deutschen‘ Außenpolitik – und die daran sich entzündende, verzweifelte Empörung eines Deutschen.
I. Nach Damaskus ist vor Teheran ist vor Moskau?
„Ist Putin zu strategischem Denken fähig?“ fragt Paul Craig Roberts in seinem Artikel vom 19. Dezember 2024.
Diese Frage möchte ich aufgreifen und sie vor dem Hintergrund des Geschehens in Syrien und im Donbass erörtern.
Nach dem Rückzug Putins aus dem Syrien-Einsatz und dem darauffolgenden Fall dieser Kulturnation in die Hände der Feinde der Menschheit erscheinen Zweifel an Putins strategischem Vermögen angebracht. Schließlich hat Putin Rußlands einzigen Verbündeten in Arabien – und zugleich auch seinen treuesten Verbündeten – geopfert. Sieger in Syrien sind die Feinde Rußlands. Das Signal an die verbleibenden Verbündeten und die Gemeinschaft der in BRICS zusammengeschlossenen Nationen könnte daher künftig ungefähr so lauten: Nimm Dir von Rußland, was Du kriegen kannst, aber vertrau dem Kreml keinen Zentimeter weit!
Ist diese Entwicklung für Rußland von Vorteil? Angesichts der Zuspitzung der internationalen Lage (und man möge mir bitte nicht mehr mit dem Irrsinn vom ‚Retter Trump‘ kommen!), erscheint mir die aktuelle Situation als für Rußland und seine Verbündeten ungünstig. Tatsächlich hat die brutale und erfolgreiche israelisch-türkische Charade die Situation komplett umgedreht, sind heute diejenigen die Verlierer, die gestern noch auf der Siegerstraße zu marschieren schienen. Erdogan und Netanyahu sind die strahlenden Gewinner, Syrien und Putin sind die Verlierer mit heruntergelassenen Hosen.
Ich vermag nicht einzuschätzen, ob der Mann im Kreml tatsächlich ein westlicher Agent ist, der „Rußlands Zerstückelung“ im Dienste der amerikanischen Piraten betreibt, wie ein Blogger Anfang 2024 schrieb. Zweifel an Putins strategischen Fähigkeiten, vor allem aber an seiner Entschlossenheit, werden gleichwohl auch in Rußland seit Jahren geäußert. Manchmal hat dies zur Folge, daß der Inhaber dieser Meinung einen staatlich finanzierten Zwangsurlaub einlegen darf, so wie Igor Girkin (4 Jahre Lagerhaft).
Halten wir uns vor Augen, daß Putin sich acht Jahre lang hat hinhalten lassen und von den hohen Zinnen des Kreml aus dem Wüten der ukrainischen Armee und ihrem Abschlachten der Russen (!) im Donbass zugesehen hat, ohne mehr zu liefern als Protest und an die Feinde gerichtete Bettelei, man möge das doch lassen. Behauptet wird, die russische Armee sei im Jahre 2014, als der vom Westen inszenierte Putsch in Kiew die Grundlage für das Massaker in Odessa und den Völkermord im Donbass schuf, technologisch noch nicht auf dem Stand wie heute gewesen. Dies ist das Argument der Putinisten: Rußland brauchte noch Zeit (diese Zeit wurde mit dem Blut von etwa 15tausend Menschen im Donbass erkauft, die von der Ukraine abgeschlachtet worden sind). Allerdings gilt hier der Einwand: die ukrainische Armee war 2014 auch nicht auf dem Stand, den die NATO für einen Krieg mit Rußland für angemessen hält. Im Gegensatz zu Rußland nutzte sie die nötige Zeit allerdings, um sich einerseits aufzurüsten und anderseits weiterhin Akte des Völkermords an Russen zu begehen. Der Donbass allerdings wehrte sich. Schließlich war es Kanzlerin Merkel, die 2015 Putin zu einem Arrangement namens Minsk überredete, um die ukrainische Armee, die man zu dem Zeitpunkt bereits im bayrischen Grafenwöhr für den Krieg gegen Rußland vorbereitete, vor einer Niederlage im Donbass zu retten. Diese Niederlage hätte ihr die Miliz des Igor Girkin („Strelkow“) ohne Minsk zeitnah bereitet. Welch ein Rückschlag wäre das für die Pläne des Westens gewesen! Nicht die NATO-Agentin Merkel ist dem russischen Donbass in den Rücken gefallen und hat seiner Miliz den mit Blut erkämpften Sieg gegen eine übermächtige, professionelle ukrainische Armee gestohlen – das war Putin.
Bereits zu Beginn der 2000er Jahre hatte es in Kiew einen auch von der BRD inszenierten Putsch, die sogenannte „Orangene Revolution“, gegeben (Juschenko / Timoschenko), um die Ukraine in den Westen zu ziehen und als Front gegen Rußland zu etablieren. 2008 wurde ihr die Mitgliedschaft in der NATO eröffnet. Selbiges passierte in Georgien unter Sakashwili, der sogar russische Truppen im Kaukasus angegriffen hatte.
Hatte Putin das vergessen? Frau Merkel hat die Taktik, Putin mit den Minsk-Abkommen hinzuhalten, um der Ukraine Zeit zur Kriegsvorbereitung zu verschaffen, offen zugegeben. Hollande und Cameron haben ihre Aussage bestätigt. Putin lamentiert, von Merkel mit den Minsker Abkommen betrogen worden zu sein. Zu einem Betrug gehören bekanntlich immer zwei.
Im dritten Kriegsjahr ist die russische Führung mittlerweile darauf verfallen, die siegreiche Einnahme von entvölkerten Kleinsiedlungen im seit 2022 offiziell russischen Donbass als Erfolg hinauszuposaunen, während amerikanische Raketen auf Rußland fallen, Ukrainer in Rußland Zivilisten abschlachten und Kiew explosive Liebesgrüße bis nach Kazan schickt.
Was Putin mit Minsk erreicht hatte, wiederholte er mit dem „Astana-Format“, dem nutzlosen Gerede über Syrien mit Erdogan und dem Iran. Pardon, logisch betrachtet muß es heißen: GEGEN Syrien, denn in Astana wie in Minsk verhandelten die Mächte über Menschen, die gar nicht beteiligt waren. Wie nennt man das: Kolonialismus, Sykes-Picot 2.0? Hatte Putin Minsk schon vergessen, als es gerade im besten Sinne für Kiews Völkermordprogramm wirkte? Hat Putin, nach der weltöffentlichen Demütigung durch Merkel, endlich die Reißleine gezogen und die Maßnahmen zur Sicherung des Donbass und Syriens – und damit der eigenen geostrategischen Interessen! – erhöht? Nein, im Gegenteil. Im Donbass stehen heute noch ukrainische Armeeeinheiten. Mit Erdogan, dem Boss von HTS, vereinbarte Putin die Konservierung der CIA-, MIT- und Mossad-Jihadisten in Idlib, einem Gouvernement in Syrien mit Grenze zur Türkei. Idlib wurde dank Putins Absprachen mit Erdogan zu einer faktisch exterritorialen Terroristenhochburg in Syrien. Hier konnten die Banden in aller Ruhe neu aufgebaut, bewaffnet und trainiert werden, im kleinen Grenzverkehr schafften die Türken fleißig Waffen und Ausrüstung nach Syrien. Hier schuf die Türkei eine quasistaatliche Infrastruktur und ließ Kopfabschneider Regierung mimen – unter den Augen der Russen. Russen und Türken fuhren gemeinsame Kontrollen an der Kontaktlinie und sorgten dafür, daß die ständigen Angriffe der Idliber Massenmörder auf Aleppo von der Syrische Arabischen Armee nicht bekämpft werden durften. Logistisch war die Syrische Arabische Armee bis zum Schluß augenscheinlich in der Lage gewesen, diese Terrorbrut einzudämmen und auszuschalten. Aber Putin / Erdogan wollten dies nicht, und Assad scheint sich letztlich gefügt zu haben. Das tapfere Syrien kämpfte bis zum Schluß mit einer Hand auf dem Rücken, und oftmals sogar mit beiden, gefesselt durch die Wünsche des Kreml nach Ausgleich mit den Herren der Kopfabschneider. Den Preis zahlten seit 2011 hunderttausende Syrer mit ihrem Leben. Auch die jüngsten, angesichts der Opfer der syrischen Armee schamlosen Schuldzuweisungen Putins an den ehemaligen Verbündeten geben mir keinen Anlaß, auf eine Änderung der Strategie des Kreml zu hoffen. Fruchtbringende Lehren aus der von Putin zugelassenen syrischen Katastrophe scheinen unerwünscht zu sein.
Den Preis für Putins fatale Syrienstrategie zahlen die Überlebenden mit Besatzung, einem zerstörten Land, einer zusammengebrochenen Wirtschaft, Hyperinflation, Verarmung, Hunger, Vertreibung und einer Kopfabschneiderbande im Dienste der westlichen Geheimdienste als ‚Regierung‘. War es das, was Sie wollten, Herr Putin? Dann waren Sie erfolgreich, meinen Glückwunsch.
II. Und wie weiter?
Das Ergebnis putinscher Strategie ist eindeutig: Im Ukrainekrieg tanzt der Bär nach wie vor auf russischem Boden, eine „Entmilitarisierung und Entnazifizierung“ der Ukraine, offizielle Vorgaben der „Speziellen Militärischen Sonderoperation“ (SMO) sind nicht erreicht. Syrien ist gefallen, mit schlimmsten Auswirkungen für das syrische Volk, für den Libanon, für Palästina und für den Iran – und darüber hinaus für den zentralasiatischen Raum und den Kaukasus. Und vielleicht am Ende für die gesamte Menschheit.
Unter den Augen der ganzen Welt wird das palästinensische Volk, legitimer Träger der Bodenrechte des Heiligen Landes, ausgelöscht. Wen Zion nicht töten kann, der wird vertrieben, aber wohin eigentlich? Der Libanon wird entweder israelisch besetzt und annektiert oder aber implodieren (und danach dann von israelischen und VSA-Bomben ‚befriedet‘ werden). Am Ende steht „Groß-Israel“. Das Heer des zio-wahhabitischen Abschaums wird vom Imperium des Bösen bei Bedarf zu anderen von ihm geschaffenen Krisenschauplätzen verbracht werden, um Rußland weitere Niederlagen zu bereiten und es stets in Spannung zu halten – ganz, wie es die RAND-Denkschrift von 2019 entwickelt hatte.
Kannte Herr Putin nicht die Pläne für „Groß-Israel“ und das „Großturan-Projekt“ von Erdogan? Hat Rußland weder einen Geheimdienst noch verläßliche geostrategische Analysten? Liest man in Moskau die israelischen und türkischen Denkschriften nicht? Was tun diese Leute eigentlich den ganzen Tag?
Das Ziel der 2015 begonnenen russischen Kampagne in Syrien soll die präventive Vernichtung des (westlich fabrizierten) Terrorismus in Syrien selbst gewesen sein. Putin hat nicht nur dieses Ziel nicht erreicht, sondern das genaue Gegenteil: Terroristen sitzen in Damaskus, die Türkei, VSA und Israel haben Syrien übernommen. Unzweifelhaft ist dies der gewichtigste aller bisherigen türkischen Siege über den alten Gegner.
Im Jahr 2015 stand der „IS“, also die Pentagon-Jihadbrigade, vor Damaskus. Mit „HTS“ sitzen dort jetzt die CIA-Marionetten von Al-Qaeda. Bei diesem Ergebnis stellt sich mir die Frage, warum Rußland überhaupt nach Syrien gegangen ist, Millionen Rubel verpulvert und doch nichts erreicht hat. Angesichts der augenscheinlichen Unentschlossenheit Putins und seines geradezu rührenden Bemühens um Verhandlungen und Verträge mit den Todfeinden seines Volkes erscheinen die möglichen nächsten Niederlagen bereits am Horizont. Mit Georgien, Kasachstan und Armenien (auch dort bereits eine fundamentale Niederlage Putins!) sind die Schauplätze schon bestellt und das Publikum, die westlichen Terrorfürsten, lümmeln sich bereits mit Popcorn vergnüglich in der ersten Reihe. Der Iran wird isoliert. Und die kriegslüsterne Zionistenbrigade der kommenden VSA-Administration wird gewiß kein anderes Event als Raketenfeuerwerk in Teheran sehen wollen.
Die Entwicklung widerspricht eindeutig den fundamentalen Interessen Rußlands. Geht es so weiter, könnte Rußland am Ende nackt vor der Wand stehen und, wie Paul Craig Roberts wiederholt betont hat, nur noch zwei Optionen haben: Aufgeben oder Atomkrieg. Wer (außer den Psychopathen im Westen) kann dies wünschen? Daher stellt sich tatsächlich nicht die Frage, ob Putin strategisch denken kann. Nun, vielleicht kann er es. Die Frage ist: für wen?
Stefan H. Heuer, M.A., Historiker, hat als Dozent in der Erwachsenenbildung sowie in der Personalentwicklung u.a. eines international tätigen VS-amerikanischen Dienstleistungsunternehmens gearbeitet.