Peter Töpfer: Sören Kierkegaard, Post-Existenzphilosophie und Tiefenwahrheit (23.05.2021)

Entstehung von etwas aus dem Nichts, von Da-Sein aus dem Nicht-Sein. Rauschen & Lauschen (23.05.2021)
Eine Einführung in die Tiefenwahrheit in drei Teilen (Audio-Fassung auf Youtube)

„Kierkegaard“ ist die erste Hälfte eines Doppel-Essays „Kierkegaard/Dugin“. Die zweite Hälfte „Dugin“ hier.


Inhalt/Übersicht3:

Vorrede 

1. Teil: Nicht-Dasein

1.1. Das einzige, was ist, ist Rauschen

1.2. Schwäche

1.3. Die Stille des Todes, kein Rauschen mehr – negative Ruhe

1.4. Das Nichts

1.5. Wo bin ich? Was bin ich? Wer bin ich?

1.6. Entfremdung

1.7. Kein Sinn, keine Bedeutung

1.8. Warum nur in die Welt geworfen? 

1.9. Nie gelebt – völlig verarscht

1.10. In der Schwebe – keine Entscheidung 

1.11. Ich will nicht frei sein

1.12. Wie soll ich leben? Was soll ich tun?

1.13. Kein Plan

1.14. Unvermögen

1.15. Geburt Gottes – ich werde andere Person und Objekt

1.16. Entweder – oder: Dahinleben oder Lebendigkeit

1.17. Keine Lösung

2. Teil: Leiden & Qualen

2.1. Scham 

2.2. Melancholie & Kreativität der Dichter & Denker

2.3. Schwermut 

2.4. Abgrund

2.5. Schmerz, Verzweiflung, Elend

2.6. Der traurige Junge

2.7. Spaltung

2.8. Bewegung, Körper, Leib

2.9. Flucht

2.10. Bedürfnis nach Hilfe

2.11. Positive Ruhe

2.12. Angst als Einschüchterung

2.13. Angst vor dem Schwindel der Lebendigkeit

(die eigentlich eine Angst vor dem Schmerz ist, der zur Abtötung geführt hat)

2.14. Angst vor der Freiheit

(die eigentlich eine Angst vor dem Schmerz ist, der zur Unfreiheit geführt hat)

2.15. Keine Souveränität

2.16. Frustration

2.17. Keine Sinnlichkeit, kein Sex

2.18. Hemmung & Verklemmung

2.19. Wut & Befreiung

2.20. Erlösung

3. Teil: 1. Da-Sein, 2. Zustimmung, 3. Kritik

3.1. Da-Sein

3.1.1. Ich lausche, also bin ich

3.1.2. Aus nichts wird etwas – Major Tom kehrt heim

3.1.3. Ankommen – Post geht ab 

3.1.4. Authentisch – Lachen und Weinen

3.1.5. Liebe

3.2. Kierkegaard-Zustimmung

3.2.1. Sich nicht belügen, sich nichts vormachen

3.2.2. Wahrheit macht frei

3.2.3. Freiheitsfähig / freiheitsliebend

3.2.4. Souveränität

3.2.5. Erkenne dich selbst / Realismus

3.2.6. Selbst, Subjekt, Person

3.2.7. Sich selbst gönnen

3.2.8. Die max-stirner’sche „Empörung“

3.2.9. Ursprünglichkeit

3.3. Kritik

3.3.1. Kritik an den Experten

3.3.1.1. Bindungsangst ist eigentlich Todesangst

3.3.1.2. Was mich eigentlich ausmacht – Selbstverrat

3.3.1.3. Sich loswerden

3.3.1.4. Sein anstatt das Sein zu erfassen

3.3.1.5. Unterscheidung von kognitiver und emotionaler Intelligenz

3.3.2. Kritik an Kierkegaard

3.3.2.1. Unterwinden anstatt überwinden

3.3.2.2. Nicht statthaftes Ontologisieren

3.3.2.3. Existenz-Hegelei / Prä-traumatisches Heidegger-Syndrom

3.3.2.4. Existenz-Wirklichkeit

3.3.2.5. Das Geschlechtliche bejahen, anstatt es zu vernichten – Sinn und Sinnlichkeit anstatt Sinnlosigkeit

Vorwort zum Vorwort

Der Kierkegaard-Essay ist als angereichertes Audio konzipiert worden. Es wurde schließlich aber auch eine textliche Fassung erstellt, um auch denjenigen Interessenten die Möglichkeit zu geben, Post-Philosophie und Tiefenwahrheit kennenzulernen, die vom Video/Audio abgeschreckt und überlastet sein könnten und die sich lieber mit Texten beschäftigen. 

Aus gleichem Grunde sind dem Inhaltsverzeichnis zum Audio Zeitangaben beigefügt, damit der Zuhörer nach Interesse frei navigieren kann und eine mögliche Überreizung vermieden wird. 

Für Fortgeschrittene ist der Dreiteiler zu empfehlen, weil dort die Sinnzusammenhänge besser dargestellt sind. Die ca. einstündigen Teile des Dreiteilers können aber schnell zu einer Überlastung führen, weswegen auch ein 12-Teiler hergestellt wird. 

Tiefenwahrheit ist etwas rein Individuelles und Subjektives. Sie ist etwas zunächst Zweckloses und ähnelt insofern dem, was die Wissenschaftler „Grundlagenforschung“ nennen. Ihr Zweck wird vom Einzelnen selbst bestimmt; er könnte in der Herbeiführung einer größeren Übereinstimmung eines Einzelnen mit sich selbst liegen. Außer daß sie mit wenigen Personen im Umfeld des Einzelnen zusammenhängt, ist die Tiefenwahrheit von keinerlei sozialer Relevanz; erst recht hat sie nichts Politisches an sich. Genau so wenig beschäftigt sie sich mit Historischem (es sei denn im biographisch-ätiologischen Sinne) – sie ist stets gegenwärtig und zeitlos. Tiefenwahrheit ist also etwas vom Zeitgeschehen unabhängiges. 

Aber es muß eine Beziehung vom Einzelnen zur Außenwelt geben. Der Grad an Wahrhaftigkeit und an Übereinstimmung von einzelnen mit sich selbst muß sich letzten Endes auch im Sozialen und im Politischen abbilden. Andersherum: Worum sonst geht es beim Sozialen und Politischen als um viele Einzelne? 

Zu möglichen zeitgeschichtlichen Implikationen siehe den Text „Alexander Dugin, das Große Erwachen und das Radikale Subjekt – die radikale, libertäre Linke meldet sich: bereit!“

Vorwort

Es soll ein weiterer Versuch unternommen werden, zu vermitteln, was Tiefenwahrheit ist. Zu diesem Behufe wird in einem Audio die Verbindung, die es zwischen einer Philosophie – nämlich der Sören Kierkegaards – und der Tiefenwahrheit gibt, aufgezeigt. Zum besseren Verständnis der Tiefenwahrheit soll diese damit geistesgeschichtlich eingeordnet werden. Die theoretische Entsprechung der Praxis Tiefenwahrheit ist die Post-Philosophie. 

Da es in der Tiefenwahrheit um die Existenz und nur um die Existenz – und zwar die Existenz eines menschlichen Subjekts – geht, gehört Sören Kierkegaard als erster Existenzphilosoph zu den Vorläufern der Tiefenwahrheit. Ein weiterer Vorläufer, der als solcher schon in einem Video vorgestellt wurde, ist Friedrich Hölderlin als Philosoph bzw. als Transphilosoph, d.h. als ein zum Poeten gewandelter Ex-Philosoph.4 

Bevor wir erklären können, was Post-Philosophie ist, müssen wir erklären, was Philosophie ist. Philosophieren heißt, nachzudenken und die Gedanken und Gedankenschritte wörtlich – mündlich oder schriftlich – zu formulieren. 

Philosophie ist ausschließlich am Wahrnehmen orientiertes oder aus dem Wahrnehmen resultierendes Denken und In-Worte-Fassen: „Ich bin hier. Warum bin ich hier? Entspricht der Grund meines Hierseins dem Ort und der Zeit, in denen ich mich befinde? Ist mein Dasein hier und jetzt also sinnvoll?“ usw. 

Wichtig ist: Es sind meine ureigensten Gedanken, meine eigenen und echten Gedankengänge. Etwas Gelerntes nachzuformulieren, ein Ideensystem von jemandem anderen zu übernehmen, kann Aneignung sein, ist aber meist keine Philosophie, sondern Ideologie. 

An Philosophie interessierte Laien sind fast immer Ideologen bzw. Ideologisierte. Laien können aber andererseits sehr wohl auch Philosophen sein (sogar bessere als die autoproklamierten), ohne je ihre Gedanken schriftlich festgehalten oder gar Bücher geschrieben zu haben, solange nämlich ihre Gedanken genau sind und sie strikt ihren persönlichen Beobachtungen folgen.

Man kann die Philosophie in zwei verschiedene Hauptströmungen unterteilen: Die erste ist das Philosophieren über die Welt da draußen. Diese Philosophie beschäftigt sich mit der Welt – unabhängig vom inneren Erleben des Philosophen selbst. Die von mir hier sogenannten Philosophen des Äußeren haben durchaus auch das Ich zum Gegenstand. Sie erfassen sehr wohl auch das Subjekt in ihr System, das insofern ein System des Äußeren und Inneren ist. Aber das Innere wird dabei objektiviert. Sie philosophieren vom Ich, aber nicht von ihrem Ich. Sie beschreiben z.B. Denkvorgänge so, als würde eine Maschine denken, sie objektivieren das Subjekt, d.h. sprechen vom Subjekt als etwas Objektivem, und machen so das Innere zu etwas Äußerem. 


Philosophen des Äußeren fassen die Welt und das objektivierte Ich meist in Systemen zusammen und gehen dabei meist von einer sog. Grundkategorie aus. Hegel geht vom Seienden, Reinhold Oberlercher geht in seinem „System der Philosophie“5 vom Nichts aus, das – damit ein Etwas sei – genichtet wird. Dabei wird deduktiv von dieser theoretischen Grundkategorie ausgegangen. 

Horst Mahler geht in der Nachfolge von Descartes vom Ich aus und ähnelt darin – erstaunlich für einen Hegelianer – Sören Kiegegaard als Vertreter der zweiten philosophischen Hauptströmung: die Philosophie des Inneren. 

Die Philosophen des Inneren denken aus sich heraus und über sich selbst und ihre Lage nach, bleiben dabei bei sich und in ihrem Inneren. Sie sprechen aus sich, aus ihrem Inneren heraus meistens in der ersten Person. Natürlich berühren sie dabei auch die Außenwelt, aber stets von ihrer Warte aus; die äußere Welt ist nur von Belang, wenn sie etwas mit dem Inneren dieser Philosophen zu tun hat. Sie sprechen von sich und beziehen die Welt auf sich. Die Welt ist das Objekt, und diese Philosophen haben keinen Objektivitäts-Anspruch; sie stecken nicht in den Objekten, nur in sich selbst. Hier wird induktiv, d.h. aus der Erfahrung heraus, vorgegangen. 

Horst Mahler nun stellt gut eine Berührung und einen Übergang beider Strömungen her und dar, wenn er sagt: „Und dann gibt es den Weg der Philosophie, die gesagt hat: ‚Wir können alles bezweifeln, nur nicht, daß ich bin, indem ich denke.‘ – Indem ich denke, bin ich. Das ist die äußerste Gewißheit; die kann man nicht bezweifeln, weil: das Zweifeln selbst ist Denken. Also kann ich sagen: Ich – und ‚Ich‘ bitteschön groß geschrieben – ist Gott, weil sonst existiert nichts. Alles kann bezweifelt werden, nur Ich nicht. Und wenn Gott das gewisseste sein soll, dann ist eben Gott Ich.“6 

Die Schnittstelle von objektivistischer und nicht-objektivistischer Philosophie markiert Richard Purkarthofer, Verfasser einer Einführung in Kierkegaards Werk, Übersetzer und Mitherausgeber der Schriften von Kierkegaard so: „Man muß auch berücksichtigen, daß für Kierkegaard das Selbst-Verhältnis und das Gottes-Verhältnis identisch ist.“7 

Die Perfektion des objektivistischen Hegel’schen Systems konnte – „der Widerspruch ist ein Anzeichen des Wahren, nicht des Falschen“ – nicht verhindern, daß sich etliche seiner Schüler von Hegel, dem bedeutendsten Philosophen des Äußeren, abwandten. 

Peter Bürger, Literaturwissenschaftler an der Universität Bremen: „Hegel hatte wie niemand vor ihm die […] Welt zum Inhalt der Philosophie erhoben. […] Dagegen erhoben sich die Jüngeren: Marx im Namen einer zu schaffenden kommunistischen Gesellschaft, Kierkegaard im Namen des existierenden Einzelnen. Und dabei führen sie eine neue Kategorie in die Philosophie ein: das Interesse. Bei Marx ist dieses praktisch sozial ausgerichtet, bei Kierkegaard wird es auf das einzelne Individuum bezogen.“8

Interesse hat aber ein Subjekt (an Objekten). Das Subjekt kann eine Gruppe von Menschen sein (bei Herder ein Volk, bei Marx eine Klasse), kann aber auch ein einzelner Mensch sein. 

Ein weiterer Hegel-Schüler, der zunächst der Schülergruppe der „Linkshegelianer“ angehörte, ging am entschiedensten den Weg der Subjektivität und gehört somit zu den wichtigsten Vorläufern der Tiefenwahrheit: Max Stirner. 

Das nach-hegel’sche Denken führte zu einem Teil in eine engagierte, tendenzielle, folglich subjektivistische Philosophie, die auf den großen Überblick, den Gesamtblick, den Blick auf die ganze, die objektive Welt verzichtete. (Hegel hatte gewissermaßen die Sicht Gottes eingenommen.) Ein solches Subjekt sollte zunächst „der Mensch“ sein (Linkshegelianer Feuerbach), aber bei genauerem Hinsehen war dieser Mensch immer noch und auch nur ein – Objekt. Max Stirner: „Erfüllt jenes Prädikat ‚Mensch‘ die Aufgabe des Prädikats, das Subjekt ganz auszudrücken, und läßt es nicht im Gegenteil am Subjekte gerade die Subjektivität weg und sagt nicht, wer, sondern nur, was das Subjekt sei?“9

Am Ende dämmerte es den Linkshegelianern, daß Interesse und Subjekt überhaupt nicht mehr vereinbar sei mit dem Philosophieren. Unter ihnen, besonders unter den „Freien“10, entbrannte nun ein Wettstreit darüber, nicht nur Hegels System zu verlassen, sondern das Philosophieren (Theoretisieren) ganz zu beenden und nur noch praktisch zu sein. Dabei ging Stirner am radikalsten vor, so daß er als erster Post-Philosoph gelten kann. Er verkörperte den Heureka-Moment, den die britische Komikergruppe Monty Python über 100 Jahre später nicht richtig erfaßten.11 (Für „Post-Philosoph“ könnte man auch „Trans-Philosoph“ sagen; Bernd A. Laska benutzt den Begriff „Paraphilosoph“.12

Sören Kierkegaard ging nich so weit und hatte nicht so sehr den ausdrücklichen Anspruch, das Philosophieren hinter sich zu lassen. Aber dafür beschrieb er besser als Stirner seine inneren Konflikte, d.h. wurde er zu einem Champion der Philosophie des Inneren und Seelischen. Stirner argumentierte dagegen logisch-rational und nahm die Idealgestalt des „Eigners“ ein, der keine Zerrissenheit mehr kannte.

Beide – Kierkegaard und Stirner, die zur selben Zeit an ihren Hauptwerken arbeiteten und diese knapp versetzt 1843 bzw. 1844 veröffentlichten – sind sich jedoch ähnlicher, als es von Philosophiehistorikern wahrgenommen wird. Kierkegaard: „Der Einzelne ist die Kategorie des Geistes, der geistigen Erweckung.“ Und: „Jeder Mensch – schlechthin jeder Mensch – soll seine Ehre dareinsetzen, wird aber wahrlich auch seine Seligkeit darin finden, der Einzelne zu sein.“13

Kierkegaard blieb – im Gegensatz zu Stirner – Philosoph, d.h. es ging ihm zwar um die, besser gesagt: um seine subjektive Existenz, aber dabei noch nicht so sehr um diese zu sein, sondern immer noch, diese zunächst noch zu reflektieren, zu beschreiben und zu erfassen

Dazu der Philosophie-Professor Jörg Noller: „Kierkegaard hat vor allem Hegel vorgeworfen, die ganze Existenz allein ins Logische zu verlagern, also ‚Existenz‘ nur als eine logische Kategorie zu fassen. Und Kierkegaard ist es darum zu tun, die wirkliche Existenz zu fassen.“14 (Siehe dazu auch Unterkapitel 3.3.1.4.)

Was er dabei erfaßte, waren vor allem Gemütszustände. Er nahm seine Existenz nicht mehr nur als etwas Denkendes wahr, sondern nahm vor allem auch seine Gefühle als das ihn Konstituierende wahr. 

Die Journalistin und Autorin Angelika Brauer dazu: „Das Gehirn ist kein Organ, das in Alleinherrschaft über den Menschen entscheidet.“15 Und Max Stirner sagt von sich: „Stirner läßt nur die ‚Erlösung der Welt‘ nicht mehr in der Hand der Denkenden und Bedenklichen.“16 

Eigentlich ist das einfache Nachdenken noch keine Philosophie. Philosophie wird das Nachdenken erst dann, wenn das Denken als falsches Mittel zur Lösung eines Problems – nämlich das der Erlösung – herhalten muß und sich fortan im Kreis dreht. Dem geht ein Zuviel an Schmerz voraus, der nicht verstanden werden kann. Das Subjekt aber versucht verzweifelt immer wieder und weiter – im Wiederholungszwang – zu verstehen: das ist Philosophie, einmal introvertiert, einmal extrovertiert. 

Erst in der Post-Philosophie wird das Denken wieder auf es selbst zurechtgestutzt und entfrachtet. Der Nimbus-Schnimbus der Intellektualität fällt zu Boden. Der Körper hält statt dessen Einzug. Aber in der Tiefenwahrheit hat „Körper“ immer die Bedeutung von „Leib“, wie ihn der Philosoph Hermann Schmitz verwendet.17 Dort ist der Leib das wahre Ich, der Körper dagegen nur das Produktionsmittel von Sklavenhaltern. Das, was bei Schmitz „Körper“ ist, gibt es in der Tiefenwahrheit nicht. 

Bei den besagten Gemütszuständen handelte es sich meist um negative Gemütszustände wie z.B. die Verzweiflung. Positive Zustände werden generell nicht thematisiert und problematisiert, sondern eher einfach und unreflektiert gelebt. Daran können wir bereits einen möglichen Zweck des Philosophierens (ab jetzt meinen wir mit „Philosophieren“ nur doch die Philosophie des Inneren) erkennen: Daß man sich Gedanken macht, muß mit einem Wunsch nach Veränderung, nach Abschaffung des Negativen zusammenhängen. Würde das Negative abgeschafft werden, wäre auch das Darum-Gedanken-Machen abgeschafft. In der Tiefenwahrheit als post-philosophischer Praxis können negative Gemütszustände verschmerzt werden und machen dann positiven Gemütszuständen Platz. Die Philosophie des Inneren macht – konsequent betrieben – die Philosophie generell, also nicht nur die des Äußeren, überflüssig, beendet sie. Wer sich vollständig und gefühlsmäßig wahrgenommen hat, verliert das Interesse an Welt- oder Naturphilosophie und befaßt sich nur noch mit seinen praktischen Interessen, was zwar auch mit Denken verbunden ist, aber nicht mehr Philosophie genannt werden kann, weil ihm die Erlösungs- oder Heilserwartungsqualität fehlt. 

Kierkegaard denkt noch in der Kategorie „Heilung“ anstatt instantane Inbesitznahme der Person, kommt letzterer aber schon nahe: „Geheilt“ werden kann Kierkegaard zufolge solch eine Krankheit – die Krankheit zum Tode: die Verzweiflung – nur dadurch, dass sie „durchlebt“ wird. Zur Heilung müsse man sein eingebildetes (und dieses Wort trifft es gleich in doppelter Hinsicht) Selbst aufgeben, um das ursprünglich richtige Selbst zu gewinnen. Dazu müsse man sich demütig unter Gott stellen mit allen Stärken und allen Schwächen des Selbstes. Dass dies schwer sei, zeige die Allgemeinheit der Verzweiflung.

##Das, was die Linkshegelianer erträumten – daß die Philosophie nämlich „praktisch“ bzw. „aufgehoben“ würde –, das gelingt der Tiefenwahrheit jetzt in noch größerem Maße, als es Stirner schon zum Teil gelungen war. Das Erfolgsgeheimnis lag und liegt darin, was Stirner so beschrieb: „Ein Ruck tut Mir die Dienste des sorglichsten Denkens, ein Recken der Glieder schüttelt die Qual der Gedanken ab, ein Aufspringen schleudert den Alp der religiösen Welt von der Brust, ein aufjauchzendes Juchhe wirft jahrelange Lasten ab. Aber die ungeheure Bedeutung des gedankenlosen Jauchzens konnte in der langen Nacht des Denkens und Glaubens nicht erkannt werden.“18

Der Linkshegelianer Karl Marx hatte noch in seiner berühmten 11. Feuerbach-These geschrieben: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretirt; es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.“ Die Veränderungen bezogen sich bei Marx – als einem Philosophen des Äußeren – aber auf das Äußere: auf die sozialen Verhältnisse. Diese würden, Marxens Theorie zufolge, freilich auch das Individuum verändern. Sehr wenig oder nichts dergleichen fand aber – zumindest, was die Entfremdung des Individuums angeht – im Sozialismus statt (und konnte nicht stattfinden). Marx hatte sehr wohl eine Ahnung vom Inneren; die Entfremdung war bei ihm, besonders in seinen frühen Schriften, die zentrale Kategorie. (Aber das Individuum ist in seiner Innenschau, die den Ausgangspunkt für Veränderungen abgibt, weniger das Produkt von sozialen Verhältnissen, sondern sein Eigenleben als Einzelner nimmt einen mindestens genau so großen Platz ein. In der Perspektive von Lageerkennung und Veränderung ist das Individuum – marxistisch gesprochen – eher Naturalform als Verkehrsform.) 

Und so wurde seit Marx unter den Philosophen die Frage diskutiert, ob es eine marxistische Philosophie überhaupt gibt oder ob Marx nicht schon Post-Philosoph war. Benedetto Croce z.B. war der Meinung, Marx sei es letztlich um die Ersetzung des Philosophierens durch die praktische Tätigkeit gegangen. Für Antonio Gramsci hingegen war die Negation der Philosophie nicht anders als philosophierend möglich. 

Es wundert sehr, daß heute nirgends mehr die Rede von der Überwindung der Philosophie ist. Kein Philosoph spricht heute noch von der Abschaffung der Philosophie. Man philosophiert fleißig weiter, als hätte es nie Linkshegelianer gegeben. Warum ist das so, wo doch dieses Thema im 19. Jahrhundert in aller Philosophen Munde war?

In der Tiefenwahrheit nun geht es ausschließlich um Veränderung. Alles – jede Bestandaufnahme, jede Lagebeschreibung – findet nur als Ausdruck von Unzufriedenheit und, dies aber absichtslos, in der Perspektive einer Veränderung statt. Es geht, im Gegensatz zur Psychologie, nie um Kategorisierungen, Erklärungen usw., sondern immer nur im Hier & Jetzt um eine Handlung mit dem einzigen Ziel der instantanen Selbst-Werdung und Selbstregulierung als Gegensatz zur Entfremdung: aus sich heraus, ohne Zwang nach seinen eigenen Bedürfnissen lebend. Damit begegnen wir der Schelling’schen Definition von Freiheit: „[…] frei ist, was nur den Gesetzen seines eignen Wesens gemäß handelt und von nichts anderem weder in noch außer ihm bestimmt ist.“19

Die Tiefenwahrheit stellt die Frage: Was wäre, wenn wir unserer tiefsten Gefühle durch vollständigen Ausdruck bewußt würden, wenn quasi das Unterbewußte aufgehoben und verschwinden würde, weil alles aufgeklärt und ausgeleuchtet ist. Erst im Ausdruck, erst wenn die tiefen Gefühle aktuell und greifbar sind, findet Bewußtwerdung statt, niemals im Denken über Gefühle. 

Im Zentrum von Tiefenwahrheit und Post-Philosophie stehen die Fragen: Woran merke ich eigentlich, was und wer ich bin? Was ist es genau, das mich ausmacht? Was genau ist der Weg, der mich zu dem führt, was und wer ich bin? Was genau ist das Mittel, das mich überhaupt erst einmal zur Frage führt, was ich eigentlich will, bevor sie beantwortet werden kann? Was geht diesen Fragen und Antworten voraus? Was ist der Selbstwahrnehmungsprozeß, und was genau geschieht in diesem? Dieser Prozeß kann nur phänomenologisch vor sich gehen: die Dinge so zur Kenntnis zu nehmen, wie sie sind.

Die Tiefenwahrheit ist der Feind jeder Theorie, jeder Art von Erklärung von was auch immer. Erklärungen und Theorien sind absolut unnötig, langweilig und oberflächlich, haben nichts mit dem Selbstgefühl des Subjekts, um das es allein geht, zu tun. Das einzige, worum es geht, ist, daß der Einzelne etwas problematisiert und sich sofort gefühlsmäßig auf die Probleme reagieren läßt. Was passiert, wenn er ein Problem thematisiert? – Dann ist er bereits am Ende der Wirk- und Ursachenkette, die ihn genau in die problematische Lage geführt hat. Diese kann er schließlich zurückverfolgen bis zu den Verschmerzungen der tiefsten Ursachen. Voraussetzung ist immer, daß er die je aktuellen Probleme wahrhaftig benennt und auf diese reagiert. Das hat mir Philosophie nichts mehr zu tun. 

An der Stelle, wo von Perspektive der Veränderung, also dem möglichen Zweck des Philosophierens, die Rede ist, kommt die Psychotherapie als neben der Philosophie zweiter Vorläuferin der Tiefenwahrheit ins Spiel; sie ist aber zu sehr dem Präskriptiven (dem Vorschreibenden) und dem Normativen verhaftet und mußte von daher unterwunden und abgeschafft werden. 

Kierkegaard dagegen betreibt sozusagen eine ideale Psychotherapie. Bei ihm – und das macht ihn zum Vorläufer der Tiefenwahrheit – spielt nicht nur die Wahrheit seiner Gemütsbewegungen an sich eine große Rolle, sondern es sind – selbstverständlich – seine Gemütsbewegungen, seine rein „subjektiven“ Gemütsbewegungen, die er ausführlich und authentisch formuliert und diskutiert. Nichts ist vorgegeben, alles folgt aus dem Wahrnehmen seiner selbst, und dabei nimmt er sich zum größten Teil in seinen Gefühle wahr. Darin liegt ein erster Schritt in die Post-Philosophie, der dann schließlich ans Ziel führt, wenn ich mich nicht mehr mit dem Beschreiben der Gefühle begnüge, wenn ich diese nicht mehr nur reflektiere, sondern sie mich ganz haben lasse.

Die Philosophie des Inneren – die Existenzphilosophie – ist insofern eine Vorläuferin der Tiefenwahrheit, als sie die richtige Herangehensweise darstellt – das schonungslose Nachdenken über mich selbst – und diese schon zu erweitern beginnt, indem sie dazu übergeht, das Denken in Verbindung mit den Gefühlen zu bringen. 

Die Philosophie ist als Vorläuferin der Tiefenwahrheit wichtiger als die Psychologie, weil sie das Subjekt sprechen läßt, was in der Psychotherapie der Fall sein soll, aber nicht ist. Die Psychologie hat ihre Herkunft in der Reparatur und in der Wiederherstellung der funktionierenden Menschmaschine. Von dieser Rolle als Gehilfin bei der Degradierung und Ausbeutung des Einzelnen konnte sich die Psychologie nie wirklich trennen; und am Ende macht sie sich, wenn sie sich tatsächlich um das Eigenbefinden des Subjekts kümmert, überflüssig. Tiefenwahrheit ist Post-Psychologie.

Die Tiefenwahrheit hat zwar ihren Ursprung in der Primärtherapie, kam aber zurück zur Philosophie, weil sogar auch noch in der Primärtherapie Gefühle vorgegeben und vorgeschrieben sind und der Einzelne in bestimmte Richtungen gestoßen wird. Damit ist die Primärtherapie zur Ideologie und zur Sekte verkommen. In der Philosophie dagegen liegt authentisches Nachdenken anstatt Nachbetung von Ideologemen vor. Gute Psychologen waren sich des Problems der Ideologie bewußt, konnten aber nie zur Realisierung ihrer eigenen Überflüssigkeit vorstoßen. 

Aus der idealen Praxis der Primärtherapie übernimmt die Tiefenwahrheit trotzdem einen starken Impuls: die Ermöglichung des tiefen Fühlens. Wenn die Psychologie tatsächlich das Subjekt sprechen läßt, so wird ihm doch – entgegen den Versprechungen und Prätentionen – nicht gestattet, sich wirklich nonverbal „sprechen“ zu lassen und alles zu sagen. Das Revolutionäre und das anthropologische Novum der Primärtherapie als Endstation der Psychologie lag darin, daß sie – in ihrer idealen Praxis, die mitunter auch erreicht wurde – genau das zuließ. Das Subjekt konnte sich nun ohne jegliche Begrenzung und scheinbar in die Bodenlosigkeit hinein „sprechen“ und fallen lassen. Es konnte zum ersten mal ganz es selbst sein; im wahren Selbst fand es seinen Boden – im, um wieder auf die Philosophie zurückzukommen, stirner’schen „Eigner“ bzw. im Kierkegaard’schen „Gott“.

Die Tiefenwahrheit fußt auf der idealen Primärtherapie. Sie greift nicht nur das Ideal der Primärtherapie auf, führt es fort, baut es aus und realisiert es, sondern auch das stirner’sche Ideal. 

Stirner aber wußte, daß es mit dem „aufjauchzenden Juchhe“ nicht getan sei: „Allerdings kann die Masse der in der Geschichte aufgehäuften und durch die Denkenden stets von neuem erweckten Bedenken nicht durch bloßes Juchhe gehoben werden.“20

Daß „Ruck“, „Abschütteln“, „Aufspringen“ und „aufjauchzendes Juchhe“ eben viel mehr bedeuten als das und daß das „Abschleudern der jahrelangen Lasten“ eben ebenfalls Jahre – ein Leben lang – dauert, ist der Grund, warum die Philosophen seit Stirner, d.h. seit fast 200 Jahren, vor diesem „Abschütteln“ zurückgeschreckt und nicht zu Post-Philosophen geworden sind. 

Die Angst vor den Urschmerzen, die sich im Zuge des „Abschüttelns“ einstellen, ist zu groß, da flüchtet es sich doch viel leichter zurück in die Philosophie oder gar in „Spiritualität“, die funktional identisch mit Sprit ist.

Beim Verdrängen des Schmerzes driftet das Subjekt hinaus ins Äußere, in die Welt, in den Weltraum (Major-Tom-Effekt). Von dort denkt es fast nur noch über die Welt nach, anstatt über sich selbst. Es hat ab jetzt einen Draufblick auf die Welt, aber auch auf sich, d.h. sieht nun alles nur noch als Objekt. Dabei spaltet sich das Subjekt in verdrängten Leib als wahres Selbst und das, was von ihm noch übrig ist: der Geist. Mit diesem Geist – mit dem Intellekt – versucht es fortan, sämtliche Probleme zu lösen. Die Lösung findet aber jenseits des Geistes allein, nämlich in der Ergänzung des Geistes um den fühlenden Leib statt: in der Verschmerzung. Jetzt nimmt sich das Subjekt erst wieder als Subjekt wahr, das im Übermaß an Schmerz in die Verdrängung geraten war; jetzt schlüpft der Geist wieder in den toten Leib hinein, beseelt ihn wieder, macht ihn wieder lebendig. Der Geist verläßt das Außen und kommt wieder ins Innere.21 

Das alles gehört zum Stirner’schen „Abschütteln“. Aber Stirner wußte auch – im Gegensatz zu den Anhängern der Primärtherapie –, daß das Denken nicht ausgeklammert werden darf: „Das Denken darf nicht etwa durch das Jauchzen unterdrückt werden […]. Du, der du das Bedürfnis des Denkens hast, kannst dir die Bedenken nicht bloß wegjauchzen; du muß sie auch wegdenken.“22

Wenn sich beim Nachdenken über mich selbst Gefühle ergeben und entwickeln, dürfen sie, wenn das Subjekt es selbst werden will, auf keinen Fall ausgeklammert werden. Das aber – das Ausklammern – hat Kierkegaard sehr wahrscheinlich an seinem Schreibtisch getan; zumindest scheint er sich nicht in seine Gefühle gehengelassen zu haben.

In der Tiefenwahrheit haben dagegen die Gefühle die gleiche Berechtigung und den gleichen Stellenwert wie die Gedanken. Wie Kiegegaard auf seinen Spaziergängen in Kopenhagen oder am Schreibpult zuhause denkt das Subjekt in der Tiefenwahrheit auch nach, aber bei dieser sind die Gefühle (z.B. die Verzweiflung) keine Symbole, sondern drücken sich direkt aus.

Es stellt sich doch die Frage, warum an dem Punkt, an dem ich beim Nachdenken eine Gemütsbewegung habe, Halt gemacht werden soll und warum ich diese Bewegung (emotio) nicht zulassen soll. So, wie ich meine Gedanken zulassen und mit meinen Gedanken immer gründlicher werden kann – der Sache auf den Grund gehen kann –, so kann ich doch auch meine Gefühle, und zwar wiederum bis auf den Grund (Boden) zulassen. Was spräche dagegen? 

Wir wollen an dieser Stelle nicht näher auf Hierarchie und Reihenfolge von Gefühl und Gedanken eingehen; die Gedanken können sehr wohl auch den Gefühlen folgen und gehen diesen nicht immer voraus, das entscheidet allein die Praxis. 

Das Nicht-Haltmachen beim Aufkommen von Gefühlen markiert den Unterschied von Philosophie und Post-Philosophie. Ich folge als Philosoph der Wahrheit – einem roten Faden gleich –, und diese führt mich in Gefühle. Die Wahrheit wird immer gefühlvoller – zumindest ist das beim modernen Menschen, dessen Gefühle stark unterdrückt sind, so. Wenn Gefühle zugelassen und fließen gelassen werden, verlieren sie das Vulkanhafte. Und sie verlieren, wenn nicht länger geheim, als Nahrung von Gedanken an Bedeutung.

Kierkegaard hat im Inneren sehr ähnliche Gefühle gehabt wie der Direktor des Instituts für Tiefenwahrheit heute, sie blieben bei Kierkegaard nur unausgedrückt. Der Direktor läßt heute diese Gefühle zu und zeigt sie genau so, wie die Philosophen ihre Gedanken gezeigt haben. Denn die Gefühle sind genau so wichtig, ja wichtiger – konstituierender – als die Gedanken.

Sören Kierkegaard nennt als Antrieb seines Philosophierens: „Was mir eigentlich fehlt, ist, ins Reine mit mir selbst zu kommen.“23 Und mit Friedrich Hölderlin können wir auch die Übereinstimmung mit mir selbst als Ziel des Nachdenkens über sich selbst benennen.24 

In der Tiefenwahrheit wird aber dieses Ziel nicht mehr nur gedanklich verfolgt und der Sprache und den Gedanken überlassen, sondern es wird versucht, dieses Ziel auch gefühlsmäßig zu erreichen, weil das, was übereinstimmen soll, im wesentlichen ja Gefühle sind: diese machen mich hauptsächlich aus, also kann ich die Übereinstimmung auch nur im Bereich des Gefühls herstellen. Die Eindeutigkeit der Selbstwahrnehmung ist dann größer. Nach tiefem Fühlen fallen jedesmal die Würfel der Sicht auf mich selbst und meine Lage anders, realistischer. 

Will ich wissen, wer ich bin und was ich will, muß ich fühlen können, denn Gefühle und Instinkte machen mich im wesentlichen aus. Ich kann Unentschiedenheit, Zweifelhaftigkeit und Spaltung mit Hilfe meiner Gefühle besser unterwinden. 

Kierkegaard ist zwar gegen Hegel, bleibt aber insofern hegelianisch, als er sehr intellektuell vorgeht und sich selbst auch auf das Geistige reduziert: „Der Mensch ist Geist. Geist ist das Selbst. Was aber ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält.“ 

Kierkegaard dient dem Verständnis dessen, was Tiefenwahrheit ist, aber wir empfehlen nicht das Studium seiner Schriften. Seine Lebens- und Gedankenwelt soll aber in ihren wesentlichen Zügen mit Hilfe von Sekundärliteratur dargestellt werden, weil diese Steilvorlagen für das Hinabsteigen in die tiefere Wahrheit sind.

Das Medium der Philosophie ist die Sprache, die gesprochene und geschriebene Sprache. Aber warum sollen nicht andere Medien in Frage kommen? Warum soll sich das Medium nicht ändern und erweitern? Mit dem Inhalt – Gefühle und Gedanken anstatt nur Gedanken – ändert sich gleichzeitig das Medium. So wie Gedanken dargestellt werden mit Sprache, so lassen sich auch Gefühle darstellen – nur anders, auf ihre Weise. 

Die Post-Philosophie schlägt neue mediale Wege ein, hat aber mit der Philosophie den gleichen Ursprung: das wahrhaftige Nachdenken, das möglichst uneingeschränkte Sinnieren. 

Schopenhauer, der ganz sicher ein fühlender Mensch war, setzte sich nach Spaziergängen an seinen Schreibtisch und schrieb. Wo aber steht geschrieben, daß es damit seine Bewandtnis haben soll? Warum soll im Medium der Schrift verblieben werden?

Das Ergebnis von Nachdenken kann auch in Audios und Videos gezeigt, das Nachdenken selbst kann in Audios und Videos erfolgen und festgehalten werden, und zwar unter Hinzuziehung von Gefühlen. 

Schopenhauer war voller Mitleid mit der menschlichen und tierischen Kreatur; für ihn waren Mensch und menschliche Gesellschaft und Geschichte ein einziges Jammertal (wobei er freilich unbewußt von sich auf andere schloß und falsch verallgemeinerte). Es ist nicht einzusehen, warum angesichts dessen nicht gejammert werden sollte. Schopenhauer hätte sich schon sehr gut aus dem Nur-Denken herausentwickeln können – das blieb jedoch der Post-Philosophie vorbehalten.

Der Inhalt der Philosophie sind Gedanken; die Medien zu deren Darstellung sind gesprochene und geschriebene Sprache. Inhalt der Post-Philosophie sind Gedanken und Gefühle; die Medien zu deren Darstellung sind gesprochene und geschriebene Sprache plus Gefühle. In den postphilosophischen Medien (Text, Audio und Video) werden nicht nur Gedanken, sondern auch Gefühle transportiert. Eine doppelte Veränderung und Erweiterung – inhaltlich und medial – findet statt. Der Begriff „Medium“ wird in post-philosophischer Nonchalance etwas strapaziert: Er steht sowohl für den Inhalt – a) Sprache der Philosophie und b) Sprache plus Gefühl der Post-Philosophie – als auch für das Transportmittel: dieses ändert sich zur Non-Verbalität.

Die Tiefenwahrheit steht aber, trotz Mediumwechsels, in direkter Tradition zum Schreiben. Es wird in andere Bereiche vorgestoßen, aber es hängt ideengeschichtlich mit dem zusammen, was früher Bücher waren. 

Das Subjekt in einer Tiefenwahrheits-Sitzung denkt über sich nach wie beim Schreiben und fühlt darüber hinaus – besser gesagt: darunter hinein. Es muß dabei kein Video entstehen, so wie Millionen Menschen philosophiert haben, ohne ein Buch geschrieben zu haben. Videos des Instituts für Tiefenwahrheit ähneln Büchern, die im 19. Jahrhundert geschrieben wurden. Was der Philosoph mit seinen Büchern gemacht hat, macht der Post-Philosoph mit seinen Videos und Audios. 

Der Post-Philosoph hat zwar auch ein Buch geschrieben25 – das stellte aber nur einen Schritt in die Post-Philosophie und in die Post-Psychologie dar. Das eigentliche Medium des Post-Philosophen ist das Video (bzw. das Audio), in denen der Post-Philosoph Selbstversuchs-Subjekt und -objekt ist. Nicht jeder Tiefenwahrheits-Praktikant macht Videos – selbstverständlich nicht! Das macht nur der Autor von Videos – so wie die Philosophen früher Bücher geschrieben haben. 

Sinn & Ziel der Tiefenwahrheit könnte in der Selbst-Werdung liegen, doch der Interessent an Tiefenwahrheit definiert selbst, was er davon braucht und prüft das Angebot der Tiefenwahrheit auf die Erreichung selbstgesteckter Ziele. Diese können sehr unterschiedlich sein bzw. formuliert werden. Deshalb hat die Tiefenwahrheit früher auch verschiedentlich firmiert, und deshalb bieten diese Firmen auch immer noch ihre Dienste an: Zuhördienst, Wahrsagerei, Abnahmestelle für seelisch belastendes Material.26 

Bei allen Firmierungen geht es stets nur um die subjektive Wahrheit eines Jeden. Jeder hat anders gelagerte Seins-Probleme, die überhaupt nicht denen des Direktors des IfTW ähneln müssen. Alles, was der Direktor vorschlägt, ist, daß tiefe subjektive Wahrheit und persönliche Gefühle Teil der Problemlösung werden. 

Es muß streng darauf geachtet werden und kann nicht oft genug wiederholt werden: Die Themen, die der Direktor des Instituts für Tiefenwahrheit in sich findet, werden überhaupt nicht die Themen eines anderen Menschen sein. Die Post-Philosophie macht eben nicht den Fehler aller Philosophen und ontologisiert bzw. verallgemeinert (Stirner war deshalb eben kein Philosoph mehr). Der Direktor macht eben nicht seine Erfahrungen zu der der Gattung Mensch („so ist der Mensch“). Er geht nur als Beispiel voran. Es geht darum, daß ein jeder seine Themen zur Sprache bringt und diese dann in seine Gefühle hinab vertieft und daß einem jeden überhaupt dieser Weg aufgezeigt und ermöglicht wird, um wirklich er selbst zu werden. Wie sich dieser Weg dann im einzelnen gestaltet, hängt nur von diesem Einzelnen ab. Daß aber eine generelle, durch Gefühllosigkeit verursachte Ich-Schwäche bei den allermeisten Zeitgenossen vorliegt – davon ist auszugehen. 

Es geht am Institut für Tiefenwahrheit lediglich um die schlechthinnige Wahrheit, um das Phänomen der Wahrheit als solcher, nicht – entgegen vielleicht dem ersten Eindruck – um einen konkreten Inhalt von Wahrheit (Verzweiflung, Traurighkeit usw.). Wir kommen bei der Präsentation von schlechthinniger Wahrheit schlechterdings nicht umhin, konkreten Wahrheitsinhalt (also besondere Gefühle und Gedanken) zu präsentieren, aber dieser Wahrheitsinhalt ist nur für den Institutsdirektor als Experimentator repräsentativ und immer nur exemplarisch. Dieser Inhalt wäre Gift für jeden Einzelnen, würde er als eine Art „objektive Wahrheit“ verstanden werden. Es geht bei der Präsentation von konkreter Wahrheit darum, Dynamik und Wirkung von Tiefenwahrheit aufzuzeigen, mehr nicht. 

Die Kritik, bei der Tiefenwahrheit handele es sich, z.B. mit ihrem Begriff der „Verschmerzung“, sehr wohl um eine Theorie, ist berechtigt und wird anerkannt. 

Damit ist das Vorwort abgeschlossen und wir kommen nun zum eigentlichen Text bzw. eigentlichen Audio. In diesem wird die gewöhnliche Veröffentlichungsarbeit des Institutes für Tiefenwahrheit, die sich auf die Darstellung emotional-mentaler Prozesse ohne Theorie beschränkt, ausnahmsweise zum Zwecke der Einführung in die Tiefenwahrheit verlassen: Die eigentliche Arbeit – die Darstellung des Gefühls und dessen Hängen in biographisch bedingten Konflikten und deren Lösung durch Tiefenwahrheit – wird nun dem Denken Kierkegaards zur Seite gestellt. Den Kierkegaard’schen Philosophemen wird eine entsprechende emotionale Realität gegenübergestellt. Kierkegaards Philosophie wird dabei als nur vage Andeutung des Eigentlichen, als schiere Phrase, als bloße, dem Gefühlsgehalt beraubte Sprache entlarvt. Dort, wo vorsichtig um den heißen Brei herumgeschwurbelt wurde, stürzt sich die Tiefenwahrheit nun in den Kochtopf. 

Besagtes Gegenüberstellen erfolgt hier anhand von Begriffen bzw. Schlagwörtern (Schwermut, Verzweiflung, sich gönnen usw.). Inhaltlich – rein emotional betrachtet – hätte es geeigneteres Material aus Stunden der Tiefenwahrheit gegeben, in denen aber nicht die von Kierkegaard benutzten Begriffe fallen. Es wurde sich absichtlich für die Methode der gemeinsamen Begriffe entschieden, um den Übergang von Philosophie zu Post-Philosophie, vom Verbalen zum Nicht-Verbalen, leichter verständlich und besser illustrieren zu können, weil der Adressat als eher sich an Wörtern orientierend vermutet wird. Mit der wortwörtlichen Verknüpfung von Zitaten und Gefühlsmaterial kann sowohl Kontinuität als auch Weiterentwicklung von der Existenzphilosophie hin zur Tiefenwahrheit aufgezeigt werden. 

Der Direktor des Instituts für Tiefenwahrheit ist oft wortwörtlich an denselben Stellen, wo Kierkegaard war. Aber 175 Jahre später geht er darüber hinaus bzw. – um es richtig in der Sprache der Tiefenwahrheit zu sagen – weit darunter hinein. Er stellt den Kierkegaard- und Experten-Zitaten immer passende Ausschnitte aus Stunden der Tiefenwahrheit hintan (selten auch voraus), mit denen dann tiefer in die Materie eingetaucht und über den Kierkegaard’schen Status hinausgegangen wird (unter hinein). Die Kierkegaard-Zitate sind Stichworte, die so montiert werden, als lösten sie post-philosophische Praxis aus. 

Hier handelt es sich nur um eine Einführung in die Tiefenwahrheit. In die wirkliche Tiefe geht es in besagter gewöhnlicher Veröffentlichungsarbeit. 

Tiefenwahrheit also solche und für sich hat nichts mehr mit Psychologie oder Philosophie zu tun und steht für sich allein. Nur wenn es um die Vermittlung, um das Bekanntmachen und um die Einführung in sie geht, greift sie auf diese als ihren Vorläufern zurück. Das Publikum orientiert sich eher an Logien und Sophien als an nackter, einfacher Wahrheit, die nur obszön und vulgär wirkt. 

Tiefenwahrheit kann auch von Menschen praktiziert werden, die noch nie in ihrem Leben etwas von Psychologie oder Philosophie gehört haben – sogar einfacher als von Intellektuellen. Aber auch den Intellos soll hiermit eine Chance gegeben werden. Intellos leiden in der Regel an Problemen wie Nicht-Dasein, Sinnlosigkeit usw., weil sie von ihren Gefühlen abgetrennt sind bzw. keine Gefühle haben und verkopft sind; sie sollen die Möglichkeit bekommen, zu Post-Intellos zu werden. 

In den verschiedenen Kapiteln des Audios bzw. des nachfolgenden Textes wird mit Rück- und Vorblenden gearbeitet, um Zusammenhänge und Veränderungen sichtbar zu machen. Insbesondere komme ich im Kapitel „Da-Sein“ auf das Kapitel „Nicht-Dasein“ zurück bzw. greife im Kapitel „Nicht-Dasein“ dem Kapitel „Da-Sein“ voraus, um das subtile Geschehen des Erwachens zum Da-Sein so realistisch wie möglich zu illustrieren. Und das Kapitel „Positive Ruhe“ hätte eher in den 3. Teil („Da-Sein“) gemußt, aber es ging mir darum, den Kontrast zur Abwesenheit von Positiver Ruhe in Kierkegaards Kindheit herzustellen und daß dieser eben aus der Verschmerzung der Erfahrungen entsteht, die zur Abtötung (Negative Ruhe) geführt haben. Es gibt ein gewisses und eindeutiges Etwas, das den Ausschlag über die schließliche Einordnung des Materials in den entsprechenden Teil gab.

In den effektiven Stunden der Wahrheit bzw. im Audio-Rohmaterial gibt es große Pausen, die aus Gründen der Konsumabilität entfernt wurden. Insbesondere die Stille zwischen gesprochenen Satzteilen und auch einzelnen Wörtern besonders in den ruhigen, langsamen Passagen (z.B. im Kapitel „2.11. Positive Ruhe„), ist um mehr als zwei Drittel gekürzt worden; es ist nicht die tatsächliche Atemfrequenz zu hören.

– Ende Vorwort – 

1. Teil: Nicht-Dasein

Im folgenden wird mit (fett und kursiv hervorgehobenen) Zitaten gearbeitet von: 

– Sören Kierkegaard,

– Angelika Brauer, Journalistin und Autorin,

– Thomas Fuchs, Inhaber der Karl-Jaspers-Professur für philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik Heidelberg,

– Richard Purkarthofer, Philosoph, Verfasser einer Einführung in Kierkegaards Werk, Übersetzer und Mitherausgeber der Schriften von Kierkegaard,

– Dr. Hans-Joachim Maaz, Psychiater, Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Autor, 

– Dr. Jörg Noller, Ludwig-Maximilians-Universität München.

1.1. Das einzige, was ist, ist Rauschen

Sören Kierkegaard: „Die einzige Wirklichkeit, von der ein Existierender nicht nur weiß, ist sein eigene: daß er da ist.“ 

Angelika Brauer: „Ich denke, also bin ich, reicht nicht mehr. Kierkegaard sieht den Menschen als denkendes und fühlendes Wesen.“27

Stunde der Tiefenwahrheit 2015_08_04:

Ja, das einzige, was ist, ist, daß ich was höre. Meine Ohren, die funktionieren irgendwie noch: so ein Drehen: Da kommt immer wieder so ein Selbstgeräusch: (lautmalend) Das ist alles, was noch mit mir passiert. 

Das einzige, wovon ich wirklich weiß, daß es da ist – also gar nicht mal ich, sondern nur daß es, dieses Rauschen –, das ist das, was ich höre. Über den Rest bin ich völlig im Unklaren oder: überhaupt keine Ahnung. Das ist das einzige, wo ich sagen würde: ja – daß da überhaupt was ist. 

Mich gibt es nicht – außer das, was ich höre. 

Ich bin einfach nur völlig beruhigt und betäubt, gelähmt, niedergeschlagen, bin völlig abwesend. Ich liege nur still rum, und nichts tut sich mit mir. 

1.2. Schwäche

Sören Kierkegaard: „Eigentlich ist mein Dasein tiefste Satire über das Menschengeschlecht. Ein unbedingt alleinstehender Mensch, der Erscheinung nach anscheinend so schwach als sei er beinahe gar nicht da. Und dann in die Geheimnisse des Daseins eingeweiht zu sein, wie man es selten findet.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_05_10:

Scheißdreck! Es ist irgendwas ganz Schlimmes, irgendwas, was ich gestern geschrieben habe: Das ist wie so ein Tabu oder so was ähnliches! – Und das akzeptiere ich irgendwie… Und dann wird das noch schlimmer dadurch, daß ich selber nicht genug da bin, da wird das noch schlimmer, weil meine Gegenwehr dagegen so schwach oder überhaupt sich gar nicht entfalten kann: mein Wille… – weil ich nicht genug da bin! Scheißdreck! 

Als ob ich nicht da bin oder daß mir die Basis irgendwie fehlt. Jemand kann ja nur um was kämpfen oder etwas sich nehmen oder so weiter oder Hindernisse beseitigen, der überhaupt erst mal da ist oder genug da ist. 

Was meine Oma mir signalisiert hat, das ist das einzige… (Weinen), das ist das einzige, was irgendwie mit mir selber was zu tun hat. Und das ist das einzige, was jenseits oder diesseits von all dem liegt, was ich immer meine, wenn ich sage, daß es mich gar nicht mehr gibt und daß es ein Tabu ist, daß ich überhaupt sein darf. Alles, dieses Nicht-, diese ganze Nicht-Existenz, dieses Nicht-Sein – daß es mich gar nicht gibt und daß es Meilen, Lichtjahre entfernt ist, daß ich überhaupt so eine Art Anspruch stellen darf ans Leben –, alles, dieses riesige Tabu, daß ich überhaupt gar nicht in Erwägung ziehen darf, daß ich leben möchte, daß ich irgendwie lebendig sein will… 

1.3. Die Stille des Todes, kein Rauschen mehr – negative Ruhe

Sören Kierkegaard: „Da fühlte ich, wie die Stille des Todes um mich her zunahm.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_12_18:

Ah jetzt kommt wieder der Moment, wo ich sterbe und wo ich nichts mehr machen kann und nichts mehr machen will, wo es nichts mehr gibt. 

Da ist nichts mehr. Oder dann ist so ein…, so ein Raum eigentlich, aber es ist ganz still, es passiert nichts, es ist nur…, es ist nur Ruhe.

Es ist so ein ganz weiter Raum, Himmel irgendwie, und alles ist still und geräuschlos.

Nichts. 

Und dann weiß ich gar nicht mehr, daß es irgendwas anderes noch gegeben hat oder geben könnte als diese Ruhe und diese Stille und diese Geräuschlosigkeit. 

1.4. Das Nichts

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_12_18:

Es ist das völlige Nichts. Alles andere ist völlig weg. Gar kein Bezug mehr zu irgendwas, was irgendwie noch sein könnte, geschweige denn, daß ich noch irgendwie irgendwas problematisieren könnte oder daß ich irgendwas will. – Da ist nichts mehr. Ich bin völlig abgetrennt von allem. 

Mich gibt’s dann überhaupt nicht mehr. Völliges Verschwinden oder Vernichtung oder… Es ist schon ein Wunder, daß ich überhaupt noch daran denke, daß es da noch etwas anderes gegeben hat oder geben könnte. Es dürfte eigentlich gar nicht sein, daß ich da überhaupt noch daran denke, daß es da was anderes gibt außer dieses Nichts. 

Sören Kierkegaard: „Man steckt den Finger in die Erde, um zu riechen, in welch einem Lande man. Ich stecke den Finger in’s Dasein – es riecht nach Nichts.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_01_02:

Das wichtigste für mich ist, daß ich das so aussprechen darf und für mich denken darf. Und dann liege ich jetzt da, und da ist nichts mehr, gar nichts mehr! Ich bin wie…, ich bin wie – tot. Alles ist dunkel. Ich meine, das ist zwar einerseits gefährlich bzw. beängstigend, daß ich dermaßen tot bin, weil ich dann wirklich alles irgendwie aufs Spiel setze sozusagen, weil ich mich dann wirklich um nichts mehr kümmern würde. Aber andererseits ist das nun aber mal die Wahrheit. 

Ich muß noch froh sein, daß ich das überhaupt so wahrnehmen kann. Das ist zwar auch wieder paradox, weil: da ist nichts. Aber wenigstens dieses Nichts wahrnehmen. 

Aber da ist wirklich nichts mehr da!Nichts. Ah. 

1.5. Wo bin ich? Was bin ich? Wer bin ich?

Sören Kierkegaard: „Wo bin ich? Was heißt denn das?: die Welt.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_06_08:

Ich habe mich nun dazu durchgerungen, daß ich sehen kann: Was sind meine Probleme? Was sind nicht meine Probleme? Wo bin ich? Was will ich überhaupt? Da habe ich mich langsam dazu durchgerungen, aber es hat alles keinen Sinn, weil: Im Hinterkopf gibt es eine Stimme, die alles negiert. Die negiert das alles. Die sagt: Das ist alles Dreck! Das ist alles Scheiße. Alles, wovon Du sprichst – alles –, das ist alles Scheiße. 

Ich habe das dann alles selber so vollzogen, ich habe alles selber vernichtet, alles selber genichtet und vernichtet und bedeutungslos gemacht und verdrängt, ja, alles, was schön ist, alles, was schön ist. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_02_08:

Das macht mich sehr traurig und ich stelle wieder mal die Verbindung her irgendwie zu meinem Problem, was ich habe: das mangelnde Selbstgefühl, was ja die Ursache ist für diese komische Lage, in der ich andauernd bin: Selbstzweifel, Unsicherheit, was bin ich?, wer bin ich?, was will ich?, was soll ich überhaupt hier?

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_06_08:

Zwischen mir und dem Leben ist so eine riesige Glasmauer – eine Mauer aus Glas. Ich sehe da zwar irgendwas, was da passiert in der Welt, aber ich habe damit nichts zu tun – [habe] gar keine Verbindung dahin. 

1.6. Entfremdung

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_09_13: 

Und der hätte doch so eine…, der hätte so eine Macht über mich haben können im positiven Sinne. Der hätte das alles so leicht hinkriegen können! Der hätte mich doch nur aufheben brauchen, einfach gut zusprechen, den Arm um mich legen und mehr nicht! Der hätte mich doch nur nehmen brauchen! 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_12_15:

Jedes mal, wenn die Luft bleibt, kommt mir der Gedanke: „Darfst du jetzt wieder atmen oder darfst du nicht atmen? Darfst du das einfach so geschehen lassen oder mußt du das ganz schnell das übergehen, indem du zum Beispiel ganz schnell die Luft wieder einziehst? Oder darf ich dann mir Zeit dabei lassen? Darf die Luft so reinströmen, wie sie nun mal einfach reinströmt? In aller Ruhe?“

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_09_13:

Langsam begreife ich ja auch, woher dieses Fremdheitsgefühl kommt: nämlich daher, daß er [Vater] das nicht getan hat. Ab dem Moment bin ich mir selber fremd geworden. Dieses Fremdheitsgefühl: daß ich sehe, daß es mich nicht gibt und: Wer bin ich denn? Ich bin niemand.

1.7. Kein Sinn, keine Bedeutung

Angelika Brauer: „Das Da-Sein, es riecht nach nichts. Es hat keinen Sinn, keine vernünftigen Ziele. Sören Kierkegaard erfaßt die Grundsituation des Menschen. Sein Denken wird zum Ausgangspunkt der Existenzphilosophie, an den Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre hundert Jahre später anknüpfen werden.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_06_17:

Ich sehe alles vor mir, aber es ist gleichzeitig nichts. Es ist völlig sinnlos. Es hätte genau so gut nirgends sein können. Es ist wirklich egal, ob es die Welt gibt oder nicht. Ah… Es hat alles keinen Sinn. Das einzige, das einen Sinn hat, ist, das einfach alles so zu akzeptieren, wie es ist. Auch diese ganze Bedeutungslosigkeit, die Sinnlosigkeit, die Gefühllosigkeit, alles grau, nichts mehr von Lebenslust oder Helligkeit oder Buntheit oder so – nichts mehr. 

Nichts berührt mich mehr. Eben war ich noch berührt von irgendwas, und jetzt nicht mehr. Jetzt ist mir alles egal. Als ob nichts mehr eine Bedeutung hätte. Ja, ich war dort und dort, ja, das kann ich nicht leugnen. Aber ich weiß nicht, was das für eine Bedeutung haben soll.

Das ist so schrecklich, diese Bedeutungslosigkeit und diese Gefühllosigkeit, [aber] es ist leider die Wahrheit. Und in dieser Wahrheit bin ich völlig gefühllos und resigniert und gleichgültig. Einerseits finde ich das traurig, aber ich fühle keine Traurigkeit. 

Egal, ob ich was fühle oder nicht fühle – wenn die Wahrheit eben ist, daß ich nichts mehr fühle, dann ist es eben so. 

Ich habe nur kurz… (Weinen) 

Am Ende weiß man nicht mal mehr, warum man bei der Wahrheit bleiben soll. Auch das ist nur noch bedeutungslos – selbst die Wahrheit ist am Ende bedeutungslos. 

1.8. Warum nur in die Welt geworfen?

Sören Kierkegaard: „Wer hat mich in das ganze hineinbetrogen und läßt mich nun dastehn? Wer bin ich? Wie bin ich in die Welt hineingekommen? Warum hat man mich nicht vorher gefragt?“

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_01_02:

Ich habe doch nicht darum gebeten, auf die Welt zu kommen. Ich habe nicht darum gebeten! Wieso…, wieso?… – Machst du mir das jetzt zum Vorwurf oder…?

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_05_16:

Und am Ende kratzt mich irgendjemand auf. Irgendjemand kratzt mich am Ende auf – mit irgend so einer Art Spachtel: Ok, so, und jetzt…, jetzt wirst du in die Welt geschmissen – als Klumpen Fleisch. So, nun sieh‘ mal zu, sieh‘ mal zu, wie du durch die Welt kommst! Ja. Ich bin völlig…, völlig unfähig, ich kann gar nichts machen. Und trotzdem muß ich in die Welt, und trotzdem muß ich zusehen, wie ich zurecht komme. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_06_04:

Was will ich denn?! Ich will doch nichts… [Luxuriöses] Ich will… Ich bin in der Welt, ich bin nun mal da. Und jetzt werde ich doch wohl ein Recht darauf haben, daß ich irgendwie… [meine Lage besprechen kann] 

Nein, die [die böse Stimme] spricht mir alles Recht ab. Die sagt mir: „Nein, du mußt Probleme haben, du mußt Lasten tragen, du mußt beschwert sein!“ Ich darf nicht einfach so…, einfach, klar, hell, entspannt [sein]. Und ich bin so verunsichert: Ja, wozu bist du auf der Welt? Was machst du? Was fängst du an mit deinem Leben? Was will ich überhaupt? 

1.9. Nie gelebt – völlig verarscht

Thomas Fuchs: „Mit zunehmender Lebensdauer ist also das einmalige Leben, das gelebt wird, das gewählt wird, eben auch von einem Möglichkeits-Horizont von Nicht-Gelebtem umgeben, der im Prinzip immer als etwas erlebt werden kann, dem man nicht gerecht geworden ist, das nicht erfüllt ist.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_02_10:

Ich komme mir wieder vor wie der allerallerallererste Mensch – jemand, der noch nie gelebt hat.

Stunde der Tiefenwahrheit 2015_06_26:

Und da hängt das alles zusammen: daß ich mich verarschen lassen habe mein ganzes Leben lang, daß ich nie wirklich gelebt habe. – Habe nie wirklich einfach lebendig auf Menschen oder auf Frauen reagiert. Hab‘ nie wirklich das Leben genossen… Und schöne Sachen und spannende Sachen und tolle Sachen jetzt mit Frauen zum Beispiel – das ganze Spiel, das ganze Auf-eine-Frau-zugehen oder Flirten oder Schäkern oder… Das hätte… – mein ganzes Leben lang hätte doch so sein können eigentlich oder sein müssen! 

Und das alles hat’s für mich nie gegeben! 

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_08_29:

Das ist alles Verarschung. Ah! Und warum lasse ich mich verarschen? Weil ich Angst habe. 

Ich kann gar nicht reagieren!Ich reagiere überhaupt nicht, ich bin gar nicht lebendig. Ich bin nicht lebendig. (Weinen) Ich lebe gar nicht. (Weinen) Ich lebe gar nicht. Ich will… (Weinen), ich will ja irgendwie leben. (Urschmerz, Röcheln) Ich will ja irgendwie leben, ja. Ich will ja nicht aufgeben, ich will ja irgendwie leben! 

1.10. In der Schwebe – keine Entscheidung

Thomas Fuchs: „Man merkt, das Leben läuft ab. Man könnte ja immer noch Möglichkeiten realisieren, und man bleibt nun in einer ständiger Schwebe stecken und hält sich alles offen, hält alle Möglichkeiten frei, denn es könnte ja immer noch sein, daß etwas besseres oder etwas anderes kommt. Und dann gerate ich natürlich in eine Schwebesituation, in der ich keine der Möglichkeiten wirklich leben kann.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_02_08:

Ich bin so ratlos, so in der Schwebe irgendwie. Scheiße! Ja!, jetzt weiß ich es!: Mir fehlt wiederum dann hier an der Stelle – [da] fehlt mir dann auch wieder die Motivation oder das Gefühl oder die Motivation oder die… – mir fehlt das, klar! Sonst würde ich mehr davon nehmen und würde mich doch nicht… 

Oh, ich komme mir so absurd vor, ich komme mir so blöde vor irgendwie. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_06_25:

Es stehen mir bestimmte Dinge offen, aber heute Vormittag war das so schlimm… Da kann ich…, das halte ich dann nicht aus: Es gibt so viele Gelegenheiten, wo ich immer… – Ich kann überhaupt nichts machen!

Ich bin total durcheinander dann auch – was weiß ich? –, heute erzählt mir wieder ein Kumpel, der fährt nach Kroatien, oder mit einem anderen Kumpel will ich – das war so eine Idee heute – nach Leipzig runterfahren… (Weinen) Aber es ist wirklich so schlimm, daß ich nichts machen kann. Ich habe zwar die Idee so, aber dann… Ich würde…, ich will am liebsten (Weinen) einfach nur immer dableiben und gar nichts mehr machen.

Stunde der Tiefenwahrheit 2015_07_24:

Daß man handelt, daß man real lebt oder etwas tut und handelt. Auch „handeln“ im Sinne von… – ja, endlich lebendig sein und Entscheidungen treffen und Entscheidungen treffen können. Und nicht so in der Schwebe zu hängen, wo man keine Entscheidung trifft, weil man nicht weiß oder nicht 100%ig sicher ist, was man will, oder wo dann eben so eine Stimme kommt, die einen andauernd beruhigt und das auf den Skt.-Nimmerleins-Tag immer verschieben will alles. 

1.11. Ich will nicht frei sein

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_06_25:

Ich will das eigentlich gar nicht: Ich will gar nicht frei sein. Es kotzt mich an, daß ich das entscheiden muß! Ich will das gar nicht entscheiden schon mal von vornherein! Ich will gar keine Entscheidung treffen müssen! Verdammt. 

Offensichtlich will ich irgendwie frei entscheiden können. Aber gleichzeitig…, gleichzeitig will ich das gar nicht. Ich will am liebsten den Kopf in den Sand stecken. 

Und irgendwie muß ich mich ja entscheiden. Verdammt noch mal!

Ich habe null Ahnung von mir selber. Ich weiß gar nicht, was ich will und was ich vom Leben erwarte und so – ich weiß es nicht. (Weinen) 

1.12. Wie soll ich leben? Was soll ich tun?

Angelika Brauer: „Wie soll ich leben?“ 

Sören Kierkegaard: „Heirate und du wirst es bereuen; heirate nicht, und du wirst es gleichfalls bereuen.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_08_02:

Ja und dann sehe ich, wie ich völlig verkehrt „lebe“, und, na ja, da habe ich mich jetzt verabredet, aber ich weiß nicht, ob es das ist, was ich eigentlich tun sollte. 

1.13. Kein Plan

Sören Kierkegaard: „Heirate oder heirate nicht – du wirst beides bereuen. Entweder du heiratest oder du heiratest nicht – du bereust beides.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_06_24:

Das ist total widersprüchlich alles. Dann habe ich plötzlich so eine Bindung zu ihr, und dann will ich so ein herzliches Abschied nehmen… – Das ist vielleicht alles falsch, was ich mache. Vielleicht darf ich das gar nicht machen oder… – ich weiß es nicht! Das ist eben das schlimme! Und ich habe gar keine Ahnung! Das ist genau so wie, daß ich keine Ahnung habe, was ich machen will, was ich planen will, wie ich was planen will – das weiß ich auch alles nicht! Ich weiß überhaupt nichts!

Stunde der Tiefenwahrheit 2015_06_26:

Die Frage ist: Will ich mir, darf ich mir, soll ich mir diesen Luxus erlauben? Der Luxus, der darin besteht, einfach frei zu sein. Frei zu sein, lebendig zu sein, souverän zu sein, tun können, was ich tun will, im Umgang mit anderen Menschen frei zu sein? Das ist eben die große, große, große Frage – das ist die eigentliche Frage: ob ich Kontakt weiter haben will oder mehr haben will, aufnehmen will zu dem Peter, der eben frei ist. 

1.14. Unvermögen

Richard Purkarthofer: „Solange er sich nicht für sein eigenes Leben entscheidet, ist es ganz egal, was er sonst noch tut.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_06_25:

Es kotzt mich so an, diese Lage! Ich kann immer nur sagen: Ich habe Angst! Ich habe Angst! Das kotzt mich…, ich kann nur sagen: … (Weinen) 

Was mich zuletzt so heulen lassen hat, das war, als ob ich sagen müßte oder sagen will, daß ich es gar nicht entscheiden kann. (Weinen) Als ob ich viel zu klein wäre oder viel zu unfähig. 

Ich habe Angst, ich habe Angst, ich habe Angst, ich muß mit irgendwas…, mit einer Lage zurechtkommen und fühle eigentlich, daß ich es gar nicht kann! Ich kann das eigentlich gar nicht. 

Ich bin völlig überfordert eigentlich! (Weinen) Das ist die Wahrheit! Da kann ich drumherumreden, wie ich will, und hin und her und so, aber eigentlich kann ich überhaupt nicht! Das ist die Wahrheit, das ist mein wahres Gefühl! Ich will…, am liebsten ist mir, daß mir das jemand abnimmt, die Entscheidung zu treffen, weil ich es gar nicht kann!

Scheißdreck! Ich…, ich habe gar kein klares Bild, gar kein klares Bild von mir und der Welt, wo man wirklich sehen würde: ja, das und das ist gut, das will ich, das will ich nicht – ich habe gar kein klares Bild! 

1.15. Geburt Gottes – ich werde andere Person und Objekt

Sören Kierkegaard: „Was mir eigentlich fehlt, ist, ins Reine mit mir selbst zu kommen darüber, was ich tun soll, nicht, was ich erkennen soll. Es kommt darauf an, meine Bestimmung zu verstehen: zu sehen, was Gott eigentlich will, das ich tun soll.“28

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_12_08:

Aber gleichzeitig bin ich nicht da, und jetzt weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich habe keine Ahnung, wie ich da überhaupt jetzt fühlen, sprechen oder was auch immer soll. 

Das wollte ich dich nämlich jetzt fragen. Da wollte ich dich jetzt um Hilfe bitten, daß du mir nur sagst, was ich jetzt tun soll irgendwie eigentlich.

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_02_15:

Ich weiß wirklich nicht, wer ich bin, was ich will, was ich tun soll und was nicht. Keine Ahnung.

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_12_15:

Irgendwie kam mir das jetzt in den Sinn: daß ich jetzt dich irgendwie fragen müßte, was ich da jetzt tun muß oder so. Scheißdreck! Ich sitze da ganz alleine auf meinem Rasen im Gras… (Weinen) 

Ich kann nicht mal von mir selber erzählen, ich spreche von mir wie von einer anderen Person. 

1.16. Entweder – oder: Dahinleben oder Lebendigkeit

Angelika Brauer: „Entweder – Oder: Kierkegaard stellt dem Leser seines gleichnamigen Erstlingswerks, das 1843 erscheint, vor die Alternative: entweder Dahinleben oder sich für ein bestimmtes Leben entscheiden.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_10_30:

Aber daß das wirklich nur so ein geringer, kleiner Zugang ist!… – Aber das ist der einzige, den es gibt für mich. Es gibt nichts anderes. Entweder das oder gar nichts. 

Angelika Brauer: „Aus Kierkegaards Sicht ist das Dahinleben möglich – allerdings um den Preis andauernder Selbst-Täuschung, die andauernd Kraft verbraucht, um existentielle Wahrheiten zu verdrängen.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2015_07_20:

Inzwischen bin ich so…, na ja, ich bin so resigniert oder ich weiß gar nicht mehr: Welche Art Leben willst du denn führen?, oder so. Da hatte ich immer diese Vorstellung von Lebendigkeit und so… – das ist inzwischen irgendwie völlig weg. 

Und dann bin ich so verunsichert dadurch. Dann sage ich mir: „Aha, na dann willst du das wahrscheinlich nicht oder dann willst du wahrscheinlich einfach so weiterleben.“ 

Ich habe wirklich keine Ahnung, was das richtige Leben für mich ist. 

Na ja, nun habe ich so dahingemacht und so und…, aber das ist wirklich schlimm, wenn du nicht weißt, was du willst… 

Dann kommt manchmal so eine kleine Stimme, die sagt: „Na ja, Peter, wie alt bist du jetzt? Warte mal… – 54…“ Ich bin jetzt nicht mehr der jüngste, aber ich könnte schon noch irgendwas erleben oder lebendiger leben oder so. 

1.17. Keine Lösung

Angelika Brauer: „Entweder dahinzuleben oder sein Leben zu führen.“

Weiter Stunde der Tiefenwahrheit 2015_07_20:

Und das ist mein allergrößtes Problem, was ich habe: daß ich so verunsichert bin und überhaupt völlig unfähig, meine Lage selber zu fühlen oder zu sehen: was ich will oder wie es ist oder wie es sein sollte oder – das ist völlig weg. 

Ich mache mir nur so mehr oder weniger diffuse Gedanken darum, wie ich lebe und ob ich vielleicht anders leben sollte und… Aber ich bin so weit davon entfernt, das zu wissen. 

Ich kann überhaupt nicht irgendwie handeln oder… Und ich sehe auch gar keine Rettung irgendwie oder gar keine…, ich sehe keine…, keinen Ausgang oder keine Lösung dafür. 

Na ja, nun lebe ich so dahinund… – und irgendwann reagiert dann doch was in mir plötzlich, dann kriege plötzlich ich irgendwelche Wutanfälle.  

 – ENDE 1. TEIL – 

2. Teil: Leiden & Qualen

2.1. Scham

Thomas Fuchs: „Wann bin ich wirklich ich selbst? Wann spiele ich mich nur? Wann spiele ich nur, was die anderen von mir erwarten?“

Prof. Dr. Hans-Joachim Maaz: „… ist das befreiendste [an der Wahrheit]: wenn ich mich verbergen muß, wenn ich bestimmte wichtige Dinge, die mich angehen, nicht mitteilen kann, bin ich unfrei. Wenn ich es auch sagen kann, wie mir wirklich ist, auch dort, wo man sich ein bißchen schämt oder wo es peinlich ist oder wo man fürchten muß: na hoffentlich werde ich da nicht ausgelacht! Wenn das aber möglich ist, dann erlebe ich Befreiung, weil ich mich nicht mehr verstellen muß – ich muß keine Maske aufsetzen.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_08_22:

Peter, du mußt diese sensiblen Sachen zeigen und rauslassen. – Und nicht die Scham und die Gewohnheit siegen lassen. 

Ich bin so! Ja! Und da brauche ich mich auch nicht dafür schämen! 

– Natürlich muß ich mich dafür schämen, natürlich muß ich mich dafür schämen! Die [böse] Stimme sagt: „Du mußt dich dafür schämen!“ Die sagt mir: „Dafür mußt du dich jetzt schämen! Du bist nämlich ein Versager! Guck dich doch mal an!: Der Waschlappen.“

Und ich komme aus dem Patt nicht raus. Der erste Verhinderungsgrund, daß ich aus dem Patt herauskomme, ist, daß ich dieses Patt erst mal anerkenne, ohne mich dafür zu schämen. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_10_30:

Ich schäme mich! (Weinen) Ich schäme mich dafür, daß ich solche Gefühle habe im Zusammenhang mit…, mit den Fußball-Fans. Ich fühle dann so eine Art Verbindung.

Da müssen wir ganz vorsichtig sein, das ist ganz sensibel. Alles kommt so grob daher. Ich muß ganz ehrlich sein, ich muß…, ich sage es so, wie es ist: Dann höre ich das nachts so…, und dann höre ich… Oh… Ich kann das gar nicht aussprechen! Ich schäme mich, ich schäme mich dafür. 

Aber andererseits: das Gefühl ist so schön! Es ist ein schönes Gefühl, einfach nur schön! Das stimmt: es ist einfach nur… (Weinen) 

Scheiße. Furchtbar. 

Wenn ich nicht wüßte, warum wir das alles machen jetzt hier, würde ich es nicht machen. Ich würde mich dem nicht aussetzen. Aber ich weiß ja, warum wir es machen: daß da noch so eine Rest-Chance für mich bestehen bleibt, daß ich vielleicht doch noch mal so ein bißchen teilnehmen kann und darf.

Und das kann ich gar nicht… – ich kann das gar nicht aussprechen und will das im Moment auch gar nicht aussprechen. Ich weiß: das habe ich in mir, und am liebsten würde ich da mitsingen und würde das aussprechen und… – Am liebsten würde ich das singen wollen jetzt. Aber ich schäme mich viel zu viel dafür. Ich schäme mich dermaßen dafür! 

Aber ich weiß, daß ich davon träume oder daß ich… – Ich finde das ja auch gut und richtig und… 

Aber das ist so ein Schmerz – das kann ich gar nicht! Ich kann gar nicht dazu gehören! Ich kann das nicht. Obwohl ich genau weiß, daß ich dazu gehöre eigentlich und daß ich dazugehören will und welche Bedeutung das für mich hat und so – das weiß ich alles. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_03_26:

Und ich bin aber jemand, der dazu nicht in der Lage ist, der dann… – Wenn [bei den] Hertha-Fröschen sozusagen…, da würde ich auch nur… 

Ich habe zwar die Sehnsucht danach, aber so weit ich mich kenne… Selbst wenn ich mitten unter denen wäre – ich wäre immer noch wie so ein Holzklotz oder Eisklumpen. Ich würde mich gar nicht hinreißen lassen können. 

Ich bin froh, daß ich überhaupt eine Regung noch hinkriege. 

2.2. Melancholie & Kreativität der Dichter & Denker

Angelika Brauer: „Es ist fast ein Cliché: Die Depression verurteilt zu Apathie, während die Melancholie als starke Antriebskraft der Kreativen gilt, der Dichter und der Denker.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_03_26: 

Ich fühle mich nicht schlecht. Zwar melancholisch-traurig irgendwie, aber irgendwie ruhig und sogar lebendig irgendwie. 

Manchmal, da merke ich ganz genau – Mann! –, da weiß ich ganz genau, wie so ein kreativer Prozeß…, wie das alles abläuft! Ich kenne mich doch, ich weiß es doch, wie es funktionieren müßte und wie es funktioniert. Da merke ich richtig: der Lustfaktor. Da experimentiere ich, ich spiele plötzlich – was weiß ich? – irgendwie ungezwungen oder… – Ich weiß genau, worum es geht. Und nur so will ich es machen! Alles andere will ich ja auch gar nicht!

2.3. Schwermut

Sören Kierkegaard: „Ich lebe nun mal in der Sonderkabine der Schwermut.

Thomas Fuchs: „Schwermut ist ein Begriff, der dem alten Konzept der Melancholie entspricht – Melancholie als eine grundlegende Temperamentstimmung und eine Seelengestimmtheit, in der das Schwere, das Belastende, das Vergängliche, das Traurige der Existenz immer wieder besonders wahrgenommen, besonders empfunden wird, aus der aber auch eine besondere Tiefe und Intensität des Erlebens entspringen kann.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2014_08_12:

Aber das dann wiederum – entweder die Musik zu machen oder sonst was – , da habe ich eben nicht a) genug Kraft oder anders gesagt: komme [ich] nicht aus meiner Müdigkeit, aus dieser…, aus dieser Schwere heraus genug, um das tun zu können. 

Ja, und ich werde auch gar nicht inspiriert genug sein. Verdammt! Ich werde dann vielleicht mich wieder hinzwingen, so wie ich es jetzt mache – immerhin. Ok, das ist immerhin ein Fortschritt. Aber es ist ja immer noch so eine Art Zwingen. Ich zwinge mich jetzt, was zu tun, und das kann ich tun – einigermaßen. Aber was mir fehlt, ist, daß ich einfach nur…, daß ich einfach nur inspiriert bin oder frei bin, kreativ bin einfach und beweglich bin und… Ah, Scheiße! 

Ich muß zusehen, wie ich aus dieser Scheiße rauskomme, aus diesem Zustand der Schwere, Lethargie und…

Da habe ich mich hingelegt und…, und dann wurde das so extrem, dieses komische Körpergefühl, wo ich dann dieses Brennen oder [diese] Süßigkeit… – das fühle ich dann im ganzen Oberkörper, in den Armen. Wenigstens hast du dieses… – was auch immer es ist: das ist was Echtes, und das scheint dem im Wege zu stehen, was ich eigentlich machen will. Und das ist dann ziemlich aussichtslos. Und komischerweise bin ich dann noch froh darüber, daß ich das überhaupt so fühlen kann. Immerhin tue ich das – immerhin! Aber schon während ich das tue, fühle ich diese Schwere. Und vor allen Dingen: Ich fühle auch, daß mir die Inspiration fehlt. Mir fehlt ein beweglicher Geist, mir fehlen klare Gedanken. Mir fehlt die Freiheit, die Beweglichkeit, die Intelligenz, die Freiheit einfach. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_08_22:

Als ob sie auf mir drauf liegt so – aber das ist gar nicht wahr! Ich habe das zum ersten mal gemerkt, daß ich immer… (Weinen), daß ich immer so schwer werde – selber einfach so aus mir heraus – und daß ich irgendwie ihre Hilfe eigentlich brauche oder daß ich immer so schwermütig und schwer werde, wie um von ihr getröstet zu werden oder so. Also nicht sie liegt auf mir als Gewicht, sondern ich bin selber so. (Weinen) Ich bin selber so. Damit will ich nur sagen, daß ich bei ihr wahrscheinlich so ein ganz kleines, trauriges oder schwermütiges – oder sonst was – Kind bin. Ah… 

2.4. Abgrund

Thomas Fuchs: „Die Existenzphilosophie beruht darauf, daß Menschen wie Kierkegaard die Abgründe, die Zwiespälte, die Widersprüche der Existenz auch am eigenen Leib buchstäblich erlebt haben, daß die auch daraus Einsichten gewonnen haben, wie die conditio humana uns in den seelischen Erkrankungen prägt, die wir als Psychiater unbedingt nutzen sollten, die aber eben auf ein auch eigenes Leiden unter diesen Widersprüchen zurückgehen.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_12_06:

Eigentlich schaue ich in einen Abgrund hinein. Eigentlich ist da ja gar nichts. Das ist ja eigentlich die tiefere Botschaft. 

Aber die Wahrheit ist ja – was ich eigentlich entdecken muß –, ist ja noch viel schlimmer: ein völlig leerer Raum eigentlich. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_10_26:

Na, ich bin in einer abgrundartigen Isolierung. Bin völlig isoliert. 

2.5. Schmerz, Verzweiflung, Elend

Sören Kierkegaard: „Wunderlich genug: In einem der ersten Gespräche mit ihr sagte ich zu ihr, daß es in jeder Generation ein paar einzelne Menschen gebe, die bestimmt seien, für die anderen geopfert zu werden. Derart glaubte ich mich geopfert, weil ich verstand, daß meine Leiden und Qualen erfinderisch machten, das Wahre zu erforschen, welches dann anderen Menschen zugutekommen könnte.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_10_25:

Diese Höllenqualen, dieser Höllenschmerz, den sie dann haben wird (Weinen), das ist absolut unvorstellbar. Deswegen kann ich das alles gar nicht. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_01_11: 

Diese ganze… (Weinen), und diese ganze Verzweiflung, diese unendliche und unlösbare Verzweiflung. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2018_09_21:

Ich weiß gar nicht mehr, was richtig ist, wohin ich gehöre. Ich weiß nicht, was falsch ist, ich weiß nicht, was ich tue. Dieses Elend, dieses Elend! (Weinen) Das liegt auch so schwer auf meiner Seele – die ganze Zeit, die ganze Zeit, die ganze Zeit trage ich das mit mir rum. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_02_15: 

Und ich staune darüber, daß ich ganz offensichtlich doch irgendwas zu wollen scheine; zumindest, daß ich mit diesem Leid(Weinen) nicht alleine sein will. Ja. 

Sören Kierkegaard: „Ich habe geleistet, was lange Zeit bewundert werden wird. Was mir fehlt, ist die Tierbestimmung in Bezug auf das Menschsein. Leidend oft bis zu tödlicher Ohnmacht durch fürchterliche Qualen – da ist mein Geist stark, und ich vergesse alles in der Welt der Gedanken.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_04_05:

Das kann doch nicht wahr sein! Gibt’s denn so was?! – So geht es mir. Und das ist so quälend, das ist so quälend. Und vor allen Dingen: Mit so was brauchst du ja überhaupt niemandem zu kommen, das kannst du niemandem erzählen. Das glaubt dir niemand erstens; zweitens kann damit auch niemand was anfangen – weil es ist ja wirklich nichts. Das ist völlig gegenstandslos. Wenn das alles ist…, wenn das deine Probleme sind… 

Na ja, das ist eine einzige Qual, und die Qual wird noch dadurch schlimmer, daß es nicht richtig eine Qual ist, die meinetwegen Schläge oder sonst was oder irgendwelche Verletzungen oder… – das macht die Sache eben noch schlimmer oder noch unfaßlicher irgendwie. 

Ist das alles wahr? Oder: Das ist alles nicht wahr! Oder: Das ist wirklich…, das ist auch das Quälerische: daß nichts wahr ist, daß man tausendmal beschreiben kann – es ist alles nicht wahr. 

Und dann höre ich immer diese Stimme, die mir sagt: „Das ist doch alles ein Luxusproblem!“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2017_07_20:

Und dann…, ja, dann kommt es mir so vor (Weinen), als ob ich nur das erleiden muß oder das über mich ergehen lassen muß, mein Schicksal schleppen muß oder mein Kreuz tragen muß oder als ob ich… – ja, es gibt keine Flucht da raus. Nur kurzzeitig schlafe ich ein und dann (Weinen) werde ich wieder wach, weil ich nicht ewig schlafen kann. Und dann muß ich wieder mein Schicksal tragen (Weinen). Dann muß ich wieder das Schicksal ertragen.

2.6. Der traurige Junge

Sören Kierkegaard: „Und doch ist jeder Mensch wesentlich, was er bleibt, wenn er zehn Jahre alt ist.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_06_17:

Da fällt mir wieder der kleine Junge ein, der so davonspringt – einer Gefahr entkommen[d] –, und der dann nur noch lacht – ein ganz falsches Lachen, verlegenes Lachen. Und der dann gute Miene zum bösen Spiel macht. Und der bin ich immer! Ich bin immer der, der in diese Panik verfällt, aus der Schießscharte alles heraus sehn muß, wo alles schnell gehen muß, und der gar nicht da sein darf und entspannt sein darf: diese Welt ist mir verschlossen, ich gehöre nicht in diese Welt. 

Und obwohl ich das so sehe, weiß ich auch, daß ich so bleiben werde. Ich kann einfach nicht anders. Jetzt im Moment bin ich relativ ruhig, aber ich bin traurig – ganz traurig. Es kommt mir so vor, als ob ich noch ganz lange dieser Junge sein muß, der so gebückt und geduckt und gebeugt auf seinem Fahrrad sitzen muß, und für den es keine andere Welt gibt. Und ich muß erst mal… (Weinen), ich muß erst mal nur dieser traurige Junge sein, für den es gar nichts anderes gibt als völlig eingeschüchtert zu sein. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_05_26: 

Ich sehe mich vor mir: dieser arme kleine Junge, der dann plötzlich so passiv wird, so leblos. Ich sehe es ja vor mir, ich weiß das ja. Und so bin ich heute. Scheißdreck! Und da wird sich auch nichts gleich ändern. 

Sören Kierkegaard: „Und dennoch wird man finden, daß fast alle einen Schaden aus ihrer Kindheit an sich tragen, den sie mit 70 nicht verwunden.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_02_08: 

Oh Mann, jetzt sehe ich plötzlich noch mehr davon! (Weinen) Oh, das ist eigentlich eine Schande, daß man so die Dinge überhaupt nicht mehr sieht oder nicht mehr gesehen hat oder sich nicht mehr erinnern konnte! – Jetzt kommt wieder diese Entwürdigung. 

Oh Mann, ich sehe jetzt plötzlich Sachen, die habe ich ja überhaupt nicht gesehen seit 50 Jahren! Und da sitze ich dann da hinten in meinen Blumen… Ja, und wahrscheinlich träume ich nur vor mich hin so irgendwie… – als ob da ein Junge ist oder so, der…, ja, der diese 20 Prozent ausmacht [der Echte]. Als ob der auch da ist. Und der ist irgendwie lebendig – wobei der da hinten, auf dem Rasen da, der ist…, nein, der ist nicht mehr von dieser Welt. Der ist irgendwie…, der ist mit seinen Blümchen da beschäftigt irgendwie und der träumt nur vor sich hin… 

Weil das eben der Unterschied ist zwischen dem anderen…, zu dem anderen [dem Unechten], weil ich da wirklich da bin! Und mich gibt es irgendwie wirklich in dem Moment! 

(Kommentar: Der Junge ist gespalten worden in: tot – lebendig, passiv – aktiv, Träumer – Tatmensch, gefühllos – gefühlvoll. Diese Spaltung bleibt natürlich im Erwachsenenalter bestehen, es sei denn es kommt zur Aufhebung des Schmerzes (Verschmerzung), der zur Spaltung geführt hat.)

2.7. Spaltung

Thomas Fuchs: „Der Gedanke des leiblichen Selbstes, der Verkörperung der Subjektivität ist natürlich besonders gut geeignet, diese traditionelle Spaltung zu überwinden zwischen Innen und Außen, zwischen Körper und Geist, zwischen Kultur und Natur.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_03_22:

Ich bringe das durcheinander, ich bringe das nicht zusammen: Einerseits diese Stille, wo ich völlig alleine bin und wo nichts mehr mich erreicht, wo ich völlig weg bin – wie so eine Rinne zwischen mir und dem Rest der Welt –, wo nichts mehr stattfindet, gar nichts mehr – und dann wiederum manchmal irgendwelche Gefühle, die ich habe, die sogar intensiv sind: das kann ich ja nicht leugnen. Die sind ja intensiv, diese Gefühle, ja! Und trotzdem haben die mit der anderen Seite gar nichts zu tun! Es ist wie…, es ist wie zwei Seiten. Es ist eine richtige Spaltung. Obwohl ich weiß, daß ich was fühle manchmal. Trotzdem beherrscht mich diese andere Stimme. 

Das Ausmaß der Spaltung, das Ausmaß dieser Gefühllosigkeit und dieser Nicht-Existenz und dieser… – na ja, daß ich nicht da bin, obwohl ich in der Welt bin, aber daß die Welt überhaupt nicht…, daß ich nichts zu tun habe mit der Welt – dieses Ausmaß, das ist so enorm. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_10_04:

Ja, und dann bin ich immer noch so durcheinander wie gestern, dann… (Weinen), dann gehen so in meiner Phantasie alles, was irgendwie mein Leben so ausmacht, an mir vorbei – so Revue passieren. Und dann frage ich mich immer: Ist das denn real oder nicht real? Was ist denn das alles?

Stunde der Tiefenwahrheit 2018_07_02: 

Ich komme mir so komisch vor: Einerseits merke ich an mir, daß irgendwas mit mir geschieht in einem guten Sinne: wie ich zu mir selber komme, wie die Schizophrenie, diese Gespaltenheit aufhört – ich merke das ja: daß da irgendwas Gutes passieren will, und eben habe ich das so ganz toll wahrgenommen: diese Spaltung in diesen [noch lebendigen] Geist und in diesen toten Körper – da war ich plötzlich gleichzeitig dieser Geist und dieser tote Körper, ich habe das alles verstanden, ich habe das alles verstanden, wie das zusammenhängt. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_02_10:

Ich hör‘ dann immer so eine [böse] Stimme, die mir sagt: „Es ist alles nur künstliche Scheiße, was du von dir gibst!“, aber das stimmt doch überhaupt nicht! Vor allen Dingen: Ich laß doch meinen Körper sprechen, ich fühl das doch! Das ist ja der Rhythmus von mir selbst. 

2.8. Bewegung, Körper, Leib

Thomas Fuchs: „Denn in all diesen Dualismen geht es eigentlich immer um eine Bewegung, und in dieser Bewegung ist immer der Leib als bewegliches Medium mitenthalten.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_12_15:

Ja! Scheißdreck! Ich will mich ja gewissermaßen öffnen oder was in Gang bringen oder in Bewegung setzen oder so, anstatt immer nur so passiv zu sein und alles zu erdulden und alles zu erleiden und alles zu… – ja alles zu verleugnen… (Weinen) Scheiße! Ah, jetzt war’s wieder…, jetzt war’s wieder so.

Und die ganze Zeit jetzt, wo ich auch alles erzähle – so seit einer halben Stunde schon –, da habe ich immer das Gefühl, daß ich völlig irreal bin und daß alles völlig irreal ist – ist es ja wahrscheinlich auch –, daß es alles völliger Quatsch ist und… – das ist ja scheinbar auch so. 

Und dieses Gefühl: das ist richtig körperlich, dieses Gefühl, das ist richtig da: Das ist: Was mache ich hier überhaupt bloß?! Was soll denn die ganze Scheiße überhaupt?! 

Aber dann wiederum zieht mich dann irgendwas wieder zurück, und dann kommt diese riesige Verurteilung zur Passivität. 

Ich fühle ja ganz genau meinen Körper und den Rhythmus von meinem Körper. Nur so geht es und soll es ja sein. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_10_26:

Ich bin sofort so traurig geworden jetzt. Sowie ich irgendwie davon spreche, daß da irgendwas sein könnte [ein Lebenswille], werde ich sofort so traurig. Ich kriege dann sofort so eine Trauer in meinen Körper rein so…, oh… 

Angelika Brauer: „Der Leib. Während der Mensch seinen Körper nur hat, schließt der Leib sein komplexes Da-Sein ein.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_03_25: 

Ich nehme mich noch wahr. Ich nehme meine Arme wahr, meinen Kopf, meinen ganzen Körper nehme ich wahr. Aber da ist nichts mehr, was mich bewegen könnte. Das ist die volle Kraftlosigkeit. Ich bin nur noch total passiv. Ich könnte nichts mehr tun. 

Ja, als ob das sozusagen die Wahrheit meines Lebens wäre. 

Ich bin irgendwie vielleicht doch noch sozusagen auf der Suche, auf der verzweifelten Suche nach irgend etwas Realem, aber es sieht so aus, als ob es das gar nicht gibt, als ob ich wie betäubt durch das Leben gegangen bin oder so: wie jemand, der nur vor sich hinträumt. Und alles ist ganz ganz weit weg, was irgendwie nach einem Leben aussehen könnte oder so. 

Und dann frage ich mich, ob ich einfach nur vor mich hinspinne. Aber dann sage ich mir: Na ja, das, was ich in meinem Körper fühle, das ist nun mal so, was andres gibt es ja nicht in mir! Es kann ja sein, daß ich spinne, aber was ist denn dann die Alternative zu dem Spinnen? Da gibt es ja keine Alternative. 

Was wäre denn das?: nicht zu spinnen. Das könnte ja nur was sein, was ich spüre oder was ich wahrnehmen würde. 

2.9. Flucht

Angelika Brauer: „Kierkegaard, der in die Tiefe der menschlichen Psyche vordringt, durchschaut die Gründe des Widerstands und der Flucht vor der existentiellen Wahrheit.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2018_06_11:

Ab jetzt darfst du das mal alles sagen, muß du nicht mehr und brauchst nicht mehr dieser Junge zu sein (Weinen), der so schnell ist und sprunghaft ist, der nur rumspringt, der nur wegspringt immer, der immer nur lächelt und springt, der nur immer auf der Flucht ist, der einfach mal still an einem Ort stehen bleibt oder sitzen bleibt anstatt rumzuspringen, flüchtig durch die Welt zu springen. Der muß zu allem lächeln, damit niemand auf den Gedanken kommt, daß der irgendwas mit sich herumschleppt, über das er einfach mal in aller Ruhe sprechen will. 

2.10. Bedürfnis nach Hilfe

Stunde der Tiefenwahrheit 2018_06_11:

Ich kann das nicht [meine Probleme alleine zu lösen]. (Weinen) Ich kann’s nicht. Es ist unvorstellbar für mich. Es ist einfach zu brutal. Es kommt mir so vor, daß ich an einer Stelle bin, wo ich nichts mehr kann, wo ich alleine nichts mehr kann: als ob ich mit jemanden drüber sprechen müßte, als ob mir jemand… (Weinen) Ich habe so eine Erinnerung im Moment: als ob ich dort auch das gebraucht hätte: daß man… 

Es ist so, als ob damals die Möglichkeit bestanden hätte oder bestanden hat, daß ich mit jemandem über etwas rede oder daß ich meine wahren Probleme zeige oder drüber spreche. Und das ist ja auch das, was ich eigentlich bräuchte, weil alleine, alleine schaff‘ ich’s nicht. 

Es scheint irgendwas Echtes dran zu sein, an diesem Bedürfnis und an diesem Gefühl, das sich dann entwickeln würde in dieser Ruhe. Dann hätte ich so ein Gefühl, wie ich es immer vermißt habe: da zu sein. Dann wäre ich da und wäre sozusagen in der Welt und würde dann ganz langsam damit anfangen, etwas mit der Welt überhaupt anzustellen zum ersten mal im Leben. Dann würde ich wirklich so eine Art Raum einnehmen.

2.11. Positive Ruhe

Sören Kierkegaard: „Die Freude, Kind zu sein, habe ich doch niemals gehabt. Die fürchterlichen Qualen, die ich litt, zerstörten die Ruhe, welche das Kind-Sein auszeichnet.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2018_06_11:

Peter, jetzt schauen wir uns mal wirklich an, worum überhaupt alles geht. Jetzt schauen wir uns das mal ganz ganz ganz leise und aufmerksam und in aller Ruhe und in aller Wahrheit – jetzt schauen wir uns einfach mal die ganze Wahrheit an, wie es dir wirklich geht, ja (Weinen), wer du wirklich bist: der noch nie in seinem Leben… (Weinen), der noch nie in seinem Leben einfach mal zur Ruhe gekommen ist. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_09_23:

Wie gehe ich mit dieser [bösen] Stimme um, die andauernd mir sagt: „Du darfst [dir] nicht Zeit nehmen, du darfst nicht zur Ruhe kommen, du darfst nicht dich fallen lassen!“

Ich will mir so viel Zeit und so viel Luxus erlauben: „Peter, es ist richtig so und es ist gut so, daß du dich einfach nur so gehen läßt, daß du dich fallen lassen kannst, daß du dir Zeit nehmen kannst, daß du alles in Zeitlupe erleben kannst, daß wir alle Zeit der Welt haben… Zumindest jetzt kannst du dich… – Es ist eigentlich gar keine Frage der Zeit, es ist einfach nur eine Frage des Modus. [Vgl. Martin Heidegger „Sein und Zeit“, 1927] Es geht nicht um die Zeit. Es geht einfach nur [darum], daß ich jetzt – meinetwegen nur fünft Minuten, aber nur diese fünf Minuten! – einfach nur so mich fallen lassen kann ohne Zwang, ohne Druck. [Die Zeit verliert nicht nur die Linearität und ihren Charakter immerwährender und sehnsüchtiger Hoffnung, sondern hört schlichtweg auf zu existieren.] 

Und diese Stimme, die ist so stark hinten, die sagt mir immer: „Nein, du mußt schnell an’s Ende kommen! Du mußt schnell machen! Du mußt ungeduldig sein! Ich habe jetzt keine Geduld, ich habe jetzt keine Zeit für dich. Ich muß jetzt schnell die Sitzung zu Ende bringen!“ 

Die ganze Zeit höre ich diese Stimme: „Nein! Du darfst nicht entspannt sein! Du darfst es nicht! Du darfst dich nicht gehen lassen! Du darfst keine Zeit haben! Du darfst nicht du selber sein! Dich gibt es nicht. Das ist alles Illusion. Was du da dir einbildest: daß es dich selber geben könnte, daß du wirklich dasein könntest – das ist alles eine riesige Illusion! Das rede dir mal besser aus! Daran darfst du nicht glauben! Dich gibt es nicht! Du brauchst auch nicht danach zu suchen, nein! Du mußt nur eins: Du mußt permanent in Eile auf der Flucht vor dir selber sein!“

Ich will jetzt zur Ruhe kommen! Ich will nichts mehr anderes. Ich will wirklich da sein! Ich will endlich mal wirklich da sein. Ich will einfach… (Weinen), ich will einfach wirklich da sein. Ich will da sein dürfen, und ich will gar nicht danach fragen, ob ich es darf. 

Ich darf zur Ruhe kommen. Ich darf mich fallen lassen. Ich darf alles so sein lassen. 

Ich will auch diese Ruhe genießen, dieses Fallen-Lassen, dieses Dasein. 

Zur Ruhe. Kommen. Nur. Ruhe. Nur Sein-Lassen. Es gibt nichts anderes als das: einfach so da sein. Ich will mir den „Luxus“ leisten, einfach da zu sein. 

Aber eigentlich ist das gar kein Luxus. Das wird erst zum Luxus, wenn man es verbietet. Aber eigentlich (Lachen) ist es das absolut normalste der Welt. Ja, ich will da sein. Ich will einfach leben. 

2.12. Angst als Einschüchterung

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_09_23:

Ich will einfach keine Angst mehr haben. Ich will es erleben, keine Angst mehr zu haben und fühlen, wie das ist, wenn man keine Angst hat. Ich weiß nicht, wie das ist. Ich nähere mich nur ganz ganz langsam diesem Zustand, wo man keine Angst hat.

Mein ganzes Leben war nur Angst – permanent Angst. Ich will das nicht mehr. 

2.13. Angst vor dem Schwindel der Lebendigkeit (die eigentlich eine Angst vor dem Schmerz ist, der zur Abtötung geführt hat)

Thomas Fuchs: „Worum es Kierkegaard geht, ist, daß hinter diesen alltäglichen Ängsten eine tiefere Angst steht, nämlich eigentlich zu dem zu kommen, der man selbst ist. Das macht Angst im Sinne eines ‚Blickes in den Abgrund von Freiheit‘, wie Kierkegaard es nennt: den ‚Schwindel der Freiheit‘.“

Sören Kierkegaard: „Angst kann man vergleichen mit Schwindel.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_08_02: 

Na ja, aber dann kommt dann die ganze Welt der Angst, [die] bricht dann auf mich ein. Wenn ich daran denke, dass ich das nicht so machen sollte und anderes Leben führen sollte, dann kommt die nackte Angst irgendwie: Angst vor so einem Tumult oder vor so einem Durcheinander oder… – [da] wirbelt’s mich rum! – Ja, wie so eine Waschmaschine, da krieg ich total Angst davor. Ich verliere mich in dieser Waschmaschine. Und es ist dermaßen unbekannt für mich! Das ist ja nichts anderes als Lebendigkeit, diese Waschmaschine: so wie es einfach sein müsste! Ich weiß das alles! Es stellt sich nur da für mich wie eine Waschmaschine, aber eigentlich ist es keine Waschmaschine, es ist ganz normale Lebendigkeit! Ich weiß das! Aber trotzdem habe ich so eine Riesen-Angst davor. 

2.14. Angst vor der Freiheit (die eigentlich eine Angst vor dem Schmerz ist, der zur Unfreiheit geführt hat)

Thomas Fuchs: „Angst im Sinne eines ‚Blickes in den Abgrund von Freiheit'“

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_06_25:

Vielleicht will ich ein angstfreies Leben?, aber… (Weinen), aber das ist sowieso gänzlich unmöglich – das ist mein Gefühl. 

Und ich will’s auch gar nicht! Ich will…, ich will’s gar nicht! Am liebsten will ich mich in irgendwas fügen oder so, ich will überhaupt nicht frei sein oder so was! Ich will das gar nicht. (Weinen) Ich will das gar nicht.

Eine innere Stimme habe ich offensichtlich, die irgendwie schon frei sein will oder so was ähnliches, [aber] eigentlich verdamme ich das! Eigentlich verurteile ich das! 

2.15. Keine Souveränität

Angelika Brauer: „Denn er wird die Kraft zur eigentlichen Angst entdecken: es ist die zum Selbst, das sich der Wahrheit stellt und dadurch autonom wird, souverän und selbstbewußt.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_12_10:

Ich habe immer so Angst, daß ich böses Blut erst mal erzeuge durch irgendwelche…, daß ich irgendwie auf meine Souveränität poche oder so was. Diese Angst, daß ich mir dadurch Feinde zuziehe, ist bei mir enorm. Lieber will ich irgendwas so belassen im Schwebezustand. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_05_26: 

Das ist nicht vorgesehen, oder das ist irgendwie ein Zustand, den es nicht gibt oder den es nicht geben darf oder so was ähnliches: daß ich tatsächlich für mich alleine da bin und irgendwas will. Daß ich mich selbst ernst nehme oder mich selbst für voll nehme oder daß ich überhaupt selber bin oder selber souverän oder selber überhaupt ich selber bin. 

2.16. Frustration

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_06_15:

Es ist alles zum Kotzen! Ich will raus! Ich will raus aus dem Scheiß! Sag mir doch, was ich tun soll! 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_05_26:

Ich merke an mir, wie selber ich mißtrauisch mir selber gegenüber bin. Ich merke, wie…, wie es nichts Echtes an mir gibt und daß ich… Ja, aber das ist nur so ein bißchen [Echtes]! Aber ich bin so wütend und gefrustet, daß ich mir wenigstens das bißchen nicht mehr nehmen lasse! Ich habe die Schnauze voll davon, nichts von mir zu haben! Ich habe nichts von mir! Ich weiß es, daß ich nichts von mir habe! Scheiße! Ich habe die Schnauze voll davon! Es muß ja…, irgendwas muß an mir sein! Irgendwas! Ich habe gar nichts! Ich habe nichts! Das ist die Wahrheit! 

Ich bin so wütend geworden über diesen Zustand, daß ich mir nicht mal in meiner eigenen Wut vertraue, daß ich nicht mal meine eigene Wut als etwas von mir selber wahrnehme oder akzeptiere oder so was. Nicht mal das tue ich! Nichts! Nein, ich bin völlig weg! Völlig weg! Es ist zum Kotzen! 

Du kannst dir das nicht vorstellen, dieser…: daß man sagt: „Ok, ich bin ja da. Ich weiß doch, daß ich da bin.“ Aber nein! Gleichzeitig fühlst Du nichts oder gleichzeitig weißt du’s nicht oder gleichzeitig merkst du’s noch nicht, daß du da bist. Nein, nichts ist! Nichts! Nichts! 

Ich sehe jetzt andere Bilder vor mir, wo ich gewesen bin, ja. Aber gleichzeitig sehe ich, daß da nichts ist, daß ich leer…, daß alles leer ist oder daß ich nur als Puppe durch dieses Leben oder durch die Welt wandle. Es ist nichts ist da – nichts! 

Ich weiß: Ich bin da, aber… (Weinen)

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_06_10:

Scheißdreck! Das kann doch nicht sein, daß ich so was nie erlebe! Also mal jetzt im realen Leben mit einer Frau oder so – das kann doch nicht sein! Diese ewige Frustration, dieses… Ah… 

2.17. Keine Sinnlichkeit, kein Sex

Angelika Brauer: „Der Vater nimmt seinen Jüngsten zu den Versammlungen der Herrenhuter Brüdergemeinde mit. Er übermittelt ihm den rechten Glauben – im Geist des Pietismus: einer Religion der Seele, der Innerlichkeit. Die mystische Selbstergründung verlangt Abkehr von der Außenwelt, auch von der Sinnlichkeit allen triebhaften Fleisches.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2017_07_20:

Daß ich so eine große Sehnsucht habe oder daß ich genau weiß eigentlich, wie das Leben ist und wie das Leben sein sollte. Zum Beispiel Umgang mit Frauen: Ich weiß genau, daß ich so eine große Sehnsucht habe nach ganz normaler Sexualität zum Beispiel – und ich bin so Lichtjahre davon entfernt, obwohl ich’s weiß, wie es sein müßte. Habe mein ganzes Leben dran vorbeigelebt, weil ich diese riesige Angst habe.

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_05_16: 

Ich will das zwar einerseits, diesen Sex, aber andererseits habe ich eine tierischeAngst davor, eine wahnsinnige Angst. 

Daß ich das auch will, das ist ganz eindeutig so: daß ich will! Das ist nicht so, daß ich keinen Sex will – das ist Quatsch! Das ist so geil, das ist Wahnsinn. 

Aber da ist diese Angst da.

Angelika Brauer: „So ist die Angst vor der Freiheit für Kierkegaard auch die Angst vor der Möglichkeit, sich auf die Sinnlichkeit einzulassen, auf die Sexualität des triebhaften Fleisches.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_12_08: 

Die andere Seite davon, das wäre so…: Frauen geil zu finden oder…, ja, Sex oder überhaupt Lebendigkeit… 

Da tanzten so Frauen rum – das finde ich total geil halt. 

Angelika Brauer: „Eine Tagebuchaufzeichnung aus dem Frühjahr 1850“:

Sören Kierkegaard: „Gebt mir einen Leib (oder hättet ihr mir einen gegeben, als ich 20 war) – ich wäre nicht so geworden. Aber ihr seid mißgünstig.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2017_11_24:

Beim Thema Sex, Sexualität, da ist es am allerdeutlichsten, wie das sein muß, ja, wie ein normales Leben ist, wie das zugeht. Und ich bin genau das Gegenteil oder bei mir findet alles das überhaupt nicht statt. Und dann denke ich so daran: Na ja, ich habe mich in eine völlig falsche Richtung entwickelt. Völlig falsch! 

2.18. Hemmung & Verklemmung

Stunde der Tiefenwahrheit 2014_06_24:

Ich weiß genau, wie gehemmt ich bin – körperlich gehemmt! Und das muß ja irgendwann mal aufhören, die Scheiße! Wenn ich diese Hemmung verlieren würde, dann würden die zwei Probleme auch wegfallen letzten Endes! Verdammt! Das ist es doch! Ja, das ist es, es ist ganz einfach!

Gestern saß ich im Bäcker, da war so ein Mädel da und die fing an zu flirten und so, und da habe ich das sofort gemerkt, wie lebendig das sein könnte oder wie aufregend das sein könnte so, wenn man dann sich so auf so einen Flirt einläßt und so. Da kneife ich aber auch die Arschbacken zusammen! Aber man kann sich doch erst mal drauf einlassen auf den Flirt oder so wenigstens. Na immerhin: ich habe sie wenigstens angeguckt und habe das…, aber na ja… 

Das ist so ein weiter Weg noch für mich, Hut ab! Uh… D

iese Hemmung, diese körperliche Gehemmtheit, dieist so stark ausgeprägt bei mir!

Ja, ich hätte da wahrscheinlich… – die reißen dich dermaßen mit, da kannst du gar nicht mehr anders am Ende! Die machen dir einen Pogo, das geht dann nach links und rechts, und dann singen die und da kannst du im Prinzip (Lachen) gar nicht mehr anders. Aber selbst wenn ich dann noch wie ein Leuchtturm verklemmt mittenmang gestanden hätte – [das] wäre ja auch egal gewesen! Man hätte das gemacht, was man kann! Auch wenn ich noch nicht richtig mitmachen kann so… – Ich muß diese Scheiß-Hemmung, die muß ich verlieren!

2.19. Wut & Befreiung

Thomas Fuchs: „Sobald ich also mich in meiner Leiblichkeit stärker verankere und diese Dynamik spüre, die ja vom Leib immer über Leibgrenzen hinaus in die Umwelt reicht und die Umwelt mit einbezieht, in dem Maße werde ich auch selber befreiter.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_07_08:

Und dann bin ich schon so dankbar, daß ich in meiner Verzweiflung wenigstens diese Wut habe und daß ich weiß, daß ich diese Wut zulassen kann und… – Das ist so eine riesige, riesige… (Weinen), das ist so eine riesige Erleichterung für mich, eine riesige Befreiung ist das für mich: daß ich wenigstens weiß, daß ich wütend bin und daß ich zu dieser Wut stehen kann. 

Normalerweise ist es so: Jedes Gefühl – alles, was nicht Erstarrung ist – treibt mich in die totale – wie soll ich mal sagen? – Angstvor Veränderung, diese Angst vor Entscheidungen, Angst, überhaupt irgendwas… Und dann habe ich diese Wut, und dann fühle ich, daß die Wut mich nicht dorthin führt, wovor ich eigentlich diese Angst habe. Dann merke ich irgendwie: Nein, [es] ist doch gar nicht so schlimm! 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_05_16:

Wenn ich diese vielen Ausrufezeichen mache, das ist dann wirklich, weil ich wirklich dann diese Lebenswut habe. Dann fühle ich das echt. Dann merke ich auch, daß alles andere eigentlich so ein Scheiß ist und so ein…, so ein Dreck und so ein unnützer, völlig unnützer oder sinnloser Scheiß, was mit mir ist und was mit mir…, was aus mir geworden ist, der ganze Mist! Dann fühle ich, was ich will. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_07_08:

Diese Scheiße: daß ich überhaupt in so einem Scheiß-Dilemma stecke! Ich war dankbar dafür, daß ich überhaupt wütend sein durfte oder konnte, daß ich das überhaupt zulassen darf!, daß ich überhaupt irgendwas aussprechen darf!, nämlich daß ich wenigstens weiß, daß ich wütend bin auf den Scheiß! Da bin ich schon dankbar dafür, daß ich… – das ist wie so eine Erlösung für mich.

2.20. Erlösung

Peter Bürger: „Erst im Schlußsatz des Vorworts läßt er – freilich immer noch ironisch gebrochen – durchblicken, daß es ihm um die letzten Fragen geht: um Leben und Tod, christlich gesprochen: um die ewige Seligkeit.“ (2)

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_10_30:

Einerseits schäme ich mich dafür. Aber andererseits weiß ich ja ganz genau, daß das meine Erlösung ist oder meine… – der einzige Ausgang.

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_11_23:

Es ist nicht erlaubt oder gestattet oder so, von bestimmten Dingen zu sprechen. Das hängt immer so zusammen mit…, mit Liebe und… – so eine ganz tiefe Liebe oder Schönheit auch. Immer, wenn ich sagen will, daß ich irgendwas schön finde, dann habe ich diese Hemmung: „Und gehst du, bleibt deine Wärme hier“ und so zum Beispiel: das konnte ich dann nie singen, da habe ich immer so heulen müssen, daß ich überhaupt nicht mehr singen kann, so sehr berührt mich das. Oder hier: „Und stirbst du…“ (Weinen): Da geht’s irgendwie um Sachen, als ob…, da geht’s um totale Liebe und das Leben schlechthin und Tod und…, und was dann passiert, wenn du tot bist und so: totale Trennung und… 

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_01_11: 

Daß man sich alles gesagt hat und daß man dann sozusagen seinen Frieden findet. (Weinen) Dann wäre das aus der Welt geschafft oder so was ähnliches. Ich würde das am liebsten so lange machen und tun, bis es aus der Welt ist oder erschöpft ist oder bis alles weggeflossen ist oder bis Frieden einkehrt. 

Und dann habe ich so ein riesiges Bedürfnis, daß alles gut ist und das alles wieder gut wird und daß alles… (Weinen), daß alles aus der Welt geschafft ist, was nicht sein sollte, was nicht sein darf: all der Schmerz, all die Trauer. 

Ich alleine kann nicht erlöst werden, ohne daß sie da einbezogen wird. Es ist die absolute Selbstverständlichkeit oder die absolute, grundlegende, tiefste Natürlichkeit. 

Ja, absolut. [Da] gibt es nichts mehr darunter, nichts mehr. Das ist das tiefste, was es gibt. 

– ENDE 2. TEIL –

3. Teil: Da-Sein ( + Zustimmung / Kritik)

3.1. Da-Sein

3.1.1. Ich lausche, also bin ich

Angelika Brauer: „Warum also war Kierkegaard besonders empfindsam, so hellhörig für die existentiellen Hintergründe des Daseins?“

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_01_18:

Einerseits habe ich immer gesagt: das ist nichts. Aber dann ist es gleichzeitig laut. Und nicht nur, daß es laut ist, sondern es ist so ganz verschiedene Frequenzen oder so. Das ist aber schön. Das ist wie… – na es hat was von Kosmos oder so. Als ob ich in den Kosmos hinauslausche. [Kommentar:Ich hole mich selbst aus dem All auf die Erde zurück.] Es ist so, als ob…, als ob ich in die Welt hineinlausche. Aber es ist gut! Es ist sehr gut, sehr schön. Es kommt mir so vor, als meint…, als wird es… – wie sagt man? –, ich wollte sagen: als ob man es gut mit mir meint. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2014_02_25:

Ich bin froh darüber, daß ich mich so wahrnehmen kann überhaupt, weil das besser ist als, wo ich wie so ein verrücktes Huhn rumrenne und überhaupt nicht weiß, was los ist mit mir. Und jetzt habe ich wenigstens diese Schwere und diese Ruhe oder diese Ausgedehntheit meines Körpers: wenigstens nehme ich meinen Körper wahr. Und dieses Rauschen.

Jetzt habe ich zwar auch keine Perspektive irgendwie, aber wenigstens fühle ich mich selbst. Auch wenn sich überhaupt nichts tut – aber daß ich überhaupt meinen Körper fühle und höre, ist ja schon mal überhaupt was. Das ist gar nicht mal so schlecht. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_12_18:

Mich gibt’s dann überhaupt nicht mehr. Völliges Verschwinden oder Vernichtung oder… Es ist mir schon ein Wunder, daß ich überhaupt noch daran denke, daß es da noch etwas anderes gegeben hat oder geben könnte außer dieses Nichts.

Dann der Himmel über mir…, Luft… – das ist eine ganz komische Situation: Ich bin dann da, aber alles, was ist, ist nur sozusagen die Welt, aber ich habe gar keinen Bezug irgendwie dazu.

3.1.2. Aus nichts wird etwas – Major Tom kehrt heim

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_12_18:

Ich könnte gar nicht jetzt sagen, was ich jetzt mit der Welt anfangen soll oder was ich in der Welt will. 

Ha!, jetzt war wieder der Gedanke, der huscht dann so ganz schnell an mir vorbei. Na, der hatte was jetzt damit zu tun, was ich gerade gesagt habe [das Nichts, das Nicht-Sein]. Das ist ganz seltsam. Und im Hintergrund habe ich aber immer diese Traurigkeit, aber irgendwie kommt es mir auch so vor, als ob ich irgendwie langsam in Kontakt komme mit dem, der da sitzt. Als ob ich da… [anfange zu sein], als ob ich… (Weinen) 

Das ist das reine Nichts, oder das ist die totale Abgetrenntheit oder Abgelöstheit von allem. In dieser komischen Luft, in dieser komischen stillen Welt, in der nichts mehr ist: daß ich da drin verlassen bin oder daß ich da sozusagen wie ins Orbit… – in den Weltraum bin ich weggedriftet sozusagen wie Major Tom und schwirre jetzt da draußen rum, habe keine Verbindung mehr zu mir, nehme mich überhaupt nicht mehr [wahr]. 

Es gibt nichts mehr, keinen Willen mehr, gar nichts mehr. Und jetzt… – irgendwie scheint es doch was zu geben, da scheint jemand tatsächlich irgendwie doch noch zu wollen: daß es ihn gibt oder daß er irgendwie zurück auf die Erde kommt oder irgend so was – und diese ganz kleine… (Weinen), diese ganz ganz kleine Stimme, die schon so verschwindend klein und gering ist, die es eigentlich gar nicht mehr gibt – ah, jetzt sterbe ich schon wieder –, die kriegt dann noch einen drauf. Der wird dann noch gesagt, daß er ein Spinner ist. 

3.1.3. Ankommen – Post geht ab

Sören Kierkegaard: „Wenn ein Mensch sich selbst erkannt hat und sich selbst gewählt hat, so ist er im Begriff, sich selbst zu verwirklichen. Da er sich aber frei verwirklichen soll, muß er wissen, was es ist, das er verwirklichen will. Was er verwirklichen will, ist denn freilich er selbst. Aber es ist sein ideales Selbst, welches er doch an keinem konkreten Orte findet als in sich selbst.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2015_06_05:

Das ist schon mal was wert jetzt: daß ich überhaupt mich wahrgenommen habe unterhalb dessen, der da nur über die Welt hinwegfliegt und der überhaupt gar nicht… (Weinen), der überhaupt nicht runterkommen will oder ankommen will oder überhaupt gar nicht da sein will! Der nur auf der Flucht ist irgendwie oder nur rumschwirrt, der überhaupt nicht da ist! 

Angelika Brauer: „Das Paradox des gelingenden Selbst-Seins: sich zu sich selbst verhalten, nie fertig zu werden und doch bei sich selbst anzukommen. Eine Haltung zu haben, ein Selbst zu sein.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_02_15:

Ja, in dieser Katastrophe… (Weinen) – Irgendwas fühlt sich sogar irgendwie gut an: dieses Alles-sein-Lassen, einfach nur sinken, irgendwie irgendwo ankommen – irgendwie ist da was gutes dran. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_11_02:

Wieso kommt es, daß ich einerseits so was Gutes empfinde – und dann eben nicht genug Appetit habe? Ich müßte doch sozusagen Appetit bekommen oder – was hast du vorhin gesagt?, wo ich so lachen mußte…, da hattest du gesagt… (Tiefenwahrheits-Begleiter: Die Post müßte abgehen.) Jetzt müßte doch die… (Lachen, Weinen) Scheiße… (Lachen, Weinen) Ah… 

3.1.4. Authentisch – Lachen und Weinen

Richard Purkarthofer: „Man weiß, daß etwas fehlt, und dieses Bewußtsein, das vielleicht auch sozusagen ein Vor-Bewußtsein ist oder ein körperliches Gefühl, das verweist auf die mögliche Integrität. Das Gefühl, daß das Leben nicht zur Gänze gelebt wird, die Angst davor, daß das der Fall sein könnte, die hält sozusagen dieses erfüllte Leben präsent. Es gibt immer eine dunkle Ahnung davon, daß das authentische Leben möglich ist.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2017_11_24:

Und komischerweise immer dann, wenn es irgendwie…, ja… (Weinen), wenn es irgendwie interessant für mich wird oder wenn es irgendwie authentisch wird oder wo ich plötzlich Kontakt [mit mir bekomme]. Es ist immer eine Katastrophe… Ich rede zwar von irgendwas Schlimmem, aber wenigstens habe ich Kontakt dann zu diesem Schlimmen, zu dieser schlimmen… (Weinen), zu dieser schlimmen Sache… 

Aber irgendwie ist das was Gutes: daß ich da überhaupt an etwas dran bin. Ich merke, daß das gut ist: daß ich überhaupt ein echtes Bild habe von etwas, was mich selbst betrifft. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2017_08_02:

Das sind solche Momente (Weinen), wo ich sagen wollte, daß sie „echt echt“ sind – wollte ich sagen (Lachen, Weinen). Also für mich ist es was besonderes, deswegen reicht es nicht aus zu sagen, daß es echt ist. Dann sage ich immer, es ist echt echt. Das ist genau… (Lachen), das ist genau wie so eine blöde Reklame von SAT1: Das ist der „FilmFilm“.

Jedenfalls merke ich dann: in diesen Zehntelsekunden dann, dann habe ich so ein…, dann sehe ich irgendwas ganz deutlich und… – ganz deutlich! Dann sehe ich…, aber das dauert nur so eine Sekunde, aber dann sehe ich etwas ganz Echtes, dann sehe ich das ganz genau: als ob ich dann da bin. Ja. Und dann fühle ich alles. Das ist dann so eine Dimension plötzlich… Aber gleichzeitig… (Weinen), gleichzeitig…: Ich freue mich einerseits darüber und muß lachen. – Und im selben Moment muß ich heulen, weil es irgendwie traurig ist. (Weinen) 

Es ist ganz seltsam: Einerseits sage ich: wenn ich nicht da drin bin, dann bin ich abgehoben, und dann, wenn ich aber sage, wenn ich dann da drin bin, in der richtigen Welt, dann ist es nichts anderes als genau das: dann bin ich komischerweise in der echten Welt, [da] bin ich plötzlich – so traurig und so verloren, seltsam. 

[Kommentar: Die einzige und wahre Welt war die traurige: so traurig – zu traurig –, daß sie verlassen wurde und man den Bezug zur Welt verlor.]

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_05_30:

So ein bißchen Lebendigkeit kommt in mich, weil ich das so zugelassen habe, die Schwäche. Ich muß immer so aufpassen an der Stelle, daß ich nicht irgendwelchen Mist erzähle, sonst werde ich verrückt. Ich will ja nur irgendwas Echtes haben, ich will ja nur das Echte ausbauen. Ich habe die Schwäche einfach zugelassen, ah… Und kaum habe ich diese Schwäche zugelassen, da habe ich mich quasi wieder selber entdeckt da drin, in diesem Tod. Da kommt plötzlich irgendwas Echtes, irgendwas Echtes, was mich ausfüllt, wo ich mich selber wahrnehme. 

[Kommentar: Das Echte muß „erarbeitet“ werden, d.h. erwahrheitet, erfühlt werden – das Gegenteil von arbeiten, nämlich: wahrnehmen, nur sein lassen, los lassen, lösen, fließen lassen.]

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_06_15:

Aber immerhin: daß ich mich überhaupt an irgendwas erinnern konnte! In diesem Scheiß-Drecksleben, das ich führe: da ist ja überhaupt kein Platz für gar nichts. 

Und da habe ich mich wenigstens mal so ansatzweise an irgend etwas Echtes und echt Lebendiges erinnert. Auch wenn ich jetzt immer noch überhaupt nicht mehr weiß, worum es da überhaupt ging. 

Ich kann mich nur erinnern: Wir haben da irgendwas gespielt, es war irgendeine Art Spiel, und es war irgendein Mädchen mit dabei… 

3.1.5. Liebe

Thomas Fuchs: „Liebe, das wäre schon die Synthese gewesen, die Kierkegaard sich zeit seines Lebens erhofft hat und die er nur in der Gnade zu finden können glaubte. Liebe als Vorwegnahme des Angenommen-Seins durch einen göttlichen Urgrund ist das, was der andere uns geben und zeigen kann: das Angenommen-Sein auf Erden in einer gemeinsamen Beziehung, die über die Abgründe und Widersprüche der Existenz sich nicht hinwegtäuscht, aber darüber hinwegtragen kann.“

[Kommentar: Das ist Philosophie. Post-Philosophie ist: Liebe ist nicht dazu da, über Widersprüche „hinwegzutragen“. Den Widersprüchen wird auf den emotionalen Grund gegangen: dort lösen sie sich auf. Und dann wird das Subjekt liebesfähig. 

Das Nicht-angenommen-Sein kann nur verschmerzt werden; es kann uns niemals von „dem anderen gegeben“ werden. Nicht eine „gemeinsame Beziehung“ kann uns über „die Abgründe und Widersprüche der Existenz hinwegtragen“, sondern die Abgründe müssen mit Selbstgefühlen und Einsichten ausgefüllt werden. Voraussetzung dafür – soweit ist das richtig – ist die Beendigung des „Hinwegtäuschens“ und auch die „Hingabe“ – aber die Hingabe an mich selbst! Die Hingabe an den anderen erfolgt dann von – selbst.] 

Thomas Fuchs: „Dazu hätte er sich aber in einer noch einmal anderen Weise, als er es im Religiösen gesehen hat, hingeben müssen.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_09_19:

Wie alles das wenig ist, wie gering das alles ist. Ich weiß, was ich da erlebt habe, oder: Ich habe eine Ahnung davon, wie…, was Liebe ist, was ich… (Weinen) Ah, ich muß aufpassen, ich darf nicht zu viel erzählen, da bleibt mir die Luft weg. Ich weiß ganz genau, ich weiß bescheid über alles. Ich weiß alles. Ich habe den vollen Durchblick. 

Aber das irgendwie auszusprechen oder das alles so zuzulassen – das ist dann irgendwie zu viel: Ich kriege keine Luft mehr. Aber ich weiß genau, worum alles geht. Das ist mir alles völlig klar. Aber die Ausmaße!… Ich sage zum Beispiel: Das ist das einzige mal, wo ich gelebt habe oder wo ich ich selber gewesen bin oder wo ich Liebe gespürt habe, wo es Liebe gegeben hat. (Weinen) Ah, Scheiße. 

Thomas Fuchs: „Das ist ein Wagnis, das er letztlich nie eingehen konnte aus einer grundlegenden Angst heraus, sich verloren zu gehen, also verzweifelt am eigenen Selbst sich nicht in die Beziehung geben zu können – das ist eine Tragik, die Kierkegaards Leben sicher anhaftet.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_04_30:

Ah, ich habe Angst, daß irgendwie zu tiefe Gefühle kommen oder so. Da habe ich wieder Angst, daß mich alles auseinanderreißt oder so oder kaputtmacht oder so.

Aber andererseits will ich das ja auch. Aber ich merke das, wie schlimm das alles ist und wie dünnhäutig ich dann werde und wie mich das auseinanderreißt alles. (Weinen)

Ah, da kommt dann immer eins zum anderen und… – meine…, meine…, so meine Gefühle, die ich heute plötzlich gegenüber meinen Eltern… (Weinen), gegenüber meinen Eltern habe oder so… Ich fühle so eine Liebe oder eine Zärtlichkeit für die… (Weinen). Ah! Oh, habe keine Luft gekriegt! Dann bleibt dann die Luft weg.

Sören Kierkegaard: „Von einer Frau geliebt zu werden, in einer glücklichen Ehe leben, des Lebens froh – nun, mir blieb dies versagt.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_11_13: 

Oft, wenn ich so rumhänge, so rumstumpfe und Sorgen mir mache um mich selbst oder so, dann frage ich mich natürlich: Was ist denn…, was ist denn ein Leben, das nicht so wäre? Da komme ich immer nur zu einem einzigen Punkt: der einzige Sinn im Leben, den ich sehe wirklich, ist tatsächlich die Liebe, nichts anderes! Nur mit einer Frau zusammen zu sein, sich gegenseitig, miteinander so zu haben und… – das ist tatsächlich letzten Endes Sexualität und Orgasmus und hinterher dieses Wegschlafen, dieses Einschlafen – diese Dimension, diese… – da ist wirklich Ruhe, da ist wirklich dann… Mehr gibt es nicht. Aber andererseits muß es aber eigentlich so sein, das Leben. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_09_19:

Ich gehe da rein und [da] ist ein hübsches Mädchen hinter der Tresentheke. Und da kommt die so ganz nett auf mich zu und bietet mir da an: „Willst du nicht ein Croissant essen, ein frisches schönes Croissant, noch ganz ofenfrisch?“ Und: „Willst du nicht einen Kaffee trinken?“ und so. Und jetzt bearbeitet die mich so. Ich sage: „Nein, ich habe gar keinen Appetit“, sage ich, aber lächle, bin also ganz lieb so zu ihr: „Danke!“, sage ich, und irgendwie kommen wir ins Gespräch so… 

Und dann merke ich plötzlich, wie ich so intensiv in ihre Augen gucke halt. Und sie auch! Also jedenfalls der Blickkontakt ist so: ohne abzubrechen gucken wir uns die ganze Zeit, wenn wir so quatschen, in die Augen so volle Kanüle. 

Und das ist so schön, und das ist der Moment, wo ich irgendwas so Schönes erlebe: ganz toll, wie man so auf einander zugeht und wie man sich so trifft und… – das ist ganz toll, ein ganz tolles Gefühl! 

Und währenddessen ich ihr in die Augen gucke und wir so quatschen, da gehen ja bei mir in meinem Kopf so Sachen ab, da sage ich mir: „Ok, Peter, das ist so ein Moment, das ist so schön, laß den jetzt nicht abbrechen!“, oder: „Mach weiter!“, oder… – dann mahne ich mich selber, da sage ich… (Weinen), da sage ich mir: „Ja…, Mensch, bleib‘ dabei, genieße das!“, oder: „Laß‘ das jetzt nicht abbrechen! Im Gegenteil: Vertiefe das jetzt!“ und so… „Das ist doch schön, und das passiert doch so selten eigentlich, das kann doch…, das darfst du jetzt nicht abbrechen lassen!“ und so. 

Na ja, und dann sag‘ ich: „Ja…“, und da sagt sie mir: „Ja, willst du nicht doch was haben?“ Ich sage: „Na ja, gerne“, aber mir war nicht nach nichts, ich kam gerade vom Frühstücken. Und was macht sie? Dann schiebt sich mir einfach so ein kleines Tellerchen zu mit einer Weintraube drauf und einer halben Kiwi drauf – schiebt sie mir das einfach so zu. Da sage ich: „Na ja, das ist toll!“, sag‘ ich, „toll!“ Dann gleich die Weintraube verdrückt und so: schön! 

So weit geht dann noch mein Mut oder so. Das ist gar nicht mal so mutig, dann ist dann irgendwie noch im Rahmen des Normalen: Das kann ich dann noch. Aber irgendwann mal hört’s auf. 

Na ja, das ist so schön, weißt du, und dann wird das so schlimm irgendwie (Lachen), das wird dann so schlimm bei mir… Oh, irgendwie fange ich jetzt an zu zittern, ich weiß auch nicht, warum. Na egal. Na irgendwie ich fühle so ein Zittern in meinen Oberschenkeln oder so. [Kommentar: „Das Strömen der Lebensenergie“, würde Wilhelm Reich sagen.] Aber innerlich ist ein…, ist ein Gewitter im Anrollen: nur die Vorläufer so. Ich fühle das…, so ein Zittern in mir, aber das ist nur ein ganz leises Anrollen: wenn das Gewitter noch ganz weit weg ist… Ah, ich fühle das jetzt trotzdem schon…

Dann sitzen wir also so da, und dann steht die hinterm Tresen, guckt mich so an, strahlt mich an, hat ein ganz offenes, positives Gesicht so und… Und da gucke ich ihr in die Augen und so, und dann passiert gar nichts mehr außer daß ich in die Augen gucke von der… 

Ja, ich sehe es ja jetzt an mir: Ich spreche davon, da kommt ein Gewitter auf mich zu, aus mir heraus. Na ja, aber gleichzeitig wiederum – und das ist immer so alles so nah beieinander –, gleichzeitig wiederum bin ich absolut…, 100%ig stehe ich dazu und sage mir: „Etwas Geileres, was Schöneres gibt’s doch gar nicht!“ 

Und dann sitze ich da und versinke so in ihre Augen so hinein. Und sie hält dem Stand. Sie guckt mich auch die ganze Zeit an, als ob das das Normalste der Welt ist irgendwie. Und dann… (Lachen) So, und weil ich da irgendwas sagen muß, fällt mir nichts beß’res ein: da sage ich: „Oh, du hast so schöne Augen!“, sag‘ ich. „Oh, danke“, sagt sie, „das hör‘ ich gern!“ (Lachen) Da gibt’s eigentlich nichts anderes für mich in dem Moment als einfach nur so weiter in ihre Augen zu schauen. 

Oh, jetzt zittere ich schon wieder los, alles in mir zittert schon wieder. Ich will damit nichts zu tun haben mit dem ganzen Scheiß. 

Ich weiß ganz genau, was vor sich geht. Ich habe voll den Überblick über alles. Ich weiß genau, was mit mir ist; ich weiß genau, was mein Leben war. Ich weiß es alles ganz genau. Es ist Wahnsinn, es ist so klar alles. 

Ich weiß auch, daß dieses Zittern, das ist mein eigentliches Leben, das ist meine eigentliche Energie, mein alles, mein Körper – alles. Das ist alles, was ich weggeschlossen habe, was zu ist, was… – Das ist so klar alles! Ich weiß alles. Ah, Scheißdreck. 

Oh, ich fühle dieses Zittern, und das ist nur ein – Vorläufer. 

3.2. Zustimmung

3.2.1. Sich nicht belügen, sich nichts vormachen

Thomas Fuchs: „‚Die Wahrheit allein wird Euch freimachen‘, heißt es ja im Neuen Testament – das ist eine tiefe Grundüberzeugung, die Existenz-Philosophen, Existenz-Therapeuten miteinander verbindet: daß in der Freiheit sich einer existentiellen Wahrheit zu stellen und sie auszuhalten bereits selbst ein solcher Gewinn liegt, eine Art tiefere Selbsterfahrung, ein Zu-sich-Kommen, sich nicht zu belügen, sich nicht über sich hinwegzutäuschen, sich nicht in die Tasche zu lügen, sich nicht zu betäuben und über das Schwere hinwegzutäuschen, daß der Gewinn an Freiheit das rechtfertigt.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_07_15:

Es kommt mir so vor, als ob ich…, als ob ich immer noch nach all den Jahren…, so als ob ich da immer noch eine Mauer um mich herum gehabt hätte [Wilhelm Reichs „Panzer“] die ganze Zeit; als ob ich immer nur irgendwas vormachenwürde oder mich hinter meiner Mauer verschanze – irgendwie so was… Und jetzt plötzlich kommt es mir so vor, als ob… (Weinen), als ob ich nackt bin und als ob ich mich jetzt so dermaßen nackt mache oder mich entblöße. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_05_18:

als ob alles nur Lüge wäre: alles, was ich jemals… mich geöffnet hätte mit halbwegs echten Gefühlen – das ist alles Lüge. Alles Lüge! Mir kommt das wie eine bodenlose Lüge vor, ein bodenloses Pseudo-Leben. 

Richard Purkarthofer: „Er ist natürlich sich selbst darüber im klaren: zu verstehen, was das Leben ist, und das Leben leben – das sind zwei sehr verschiedene Dinge, ja? Dazu ist er zu vertraut mit allen Formen des menschlichen Selbstbetruges. Das Verstehen hilft in diesem Zusammenhang überhaupt nichts.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2017_02_06:

Ich will nicht, daß das auf der Strecke bleibt.

Ich darf davor nicht die Augen verschließen, ich würde mich belügen halt. Ich wüßte genau, daß ich das eigentlich will oder eigentlich erwarte oder will! Das kann nicht sein, daß ich darauf verzichte! Das kann nicht sein! Das will ich nicht! 

3.2.2. Wahrheit macht frei

Sören Kierkegaard: „Der Freiheit Inhalt ist Wahrheit, und die Wahrheit macht den Menschen frei.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_05_10:

Ich sehe noch viel mehr, ich sehe dann…, ich sehe dann so eine richtige Freiheit irgendwie vor mir eigentlich, so eine richtige echte Freiheit und Lebendigkeit und Lebenslust – und alles das eigentlich, das hängt da mit dran und ich weiß, daß so was möglich ist. Ich weiß es ganz genau! 

3.2.3. Freiheitsfähig / freiheitsliebend

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_01_18:

Wie gut das klingt! Das ist…, teilweise ist es völlig wild, völlig… – die ganze Welt in der ganzen Brutalität irgendwie, also in einer Wildheit oder… – wie soll ich mal sagen? – Da gibt es kein Pardon oder irgendwas. Das ist die totale Freiheit irgendwie, die da irgendwie auf mich einströmt. 

So ist es einfach! Was ich da höre, das ist so…, das ist so dermaßen unbeeindruckt von mir, das lebt so dermaßen…, es ist gar kein Thema, wie sehr unabhängig das von mir lebt, wie wild das ist! Das wabert nur so an mir vorbei, nimmt überhaupt gar keine Rücksicht auf mich! Aber das klingt jetzt vielleicht negativ, aber ich meine das gar nicht negativ. Aber ich kann gut damit leben – sagen wir mal so. Das ist ok! Es ist zwar irgendwie total wild und brutal irgendwie, aber ich komme damit gut zurecht irgendwie. Es scheint sich mit mir zu vertragen. Das verträgt sich, es ist ok. 

Es ist eine schöne Vision irgendwie, es ist geil! Geil. Es ist wie so ein Sturm. Ich höre das zwar, als ob das so mein Blut ist oder was, aber gleichzeitig…: das stellt sich so für mich dar, so vom…, vom Bild wie so die Welt, wie die Welt – Kosmos oder was auch immer –, so stellt sich’s für mich dar. Als ob das… Das kann ja nur ich selber sein, aber als ob das unabhängig ist von mir. Aber ich kann gut damit leben. 

Geil. Toll. Da könnte ich stundenlang da zuhören. 

3.2.4. Souveränität

Angelika Brauer: „Der Gewinn der Freiheit ist das eine. Kierkegaard stellt ihn als Souveränität und Unabhängigkeit in Aussicht, wenn man den Weg der Wahrheit wählt.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2015_07_24:

Da soll irgendwas passieren, was mich befreit!, was… – wie sagt man bei Motoren? –, was mich freipustet oder was mich befreit! 

Daß ich… – ja! –, daß ich souverän bin und und und… – handeln kann, daß ich reagieren kann, daß ich in der Welt bin, wo ich auf was reagieren kann, wo ich… – Ich weiß genau, was ich meine: was ich immer so beschreibe mit „Lebendigkeit“ und „Kreativität“ und „Kommunikation“ – das ist das, was ich erwarte. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_11_13:

Na ja, da sehe ich mich auf diesem Bahnhof, wie ich da plötzlich so relativ souverän bin: weil ich ja in der Welt bin. Na ja, da kommt plötzlich so ein leichtes Gefühl auf, daß ich das schaffe alles, daß da meine Klamotten alle beisammen habe, Ordnung habe, daß ich gutes Schuhwerk anhabe, daß ich marschieren kann… – Na ja, dann… (Weinen), dann kommt dann plötzlich dieses…, ganz leicht dieses Gefühl, daß ich irgendwie doch… – Das ist zwar alles schwer… (Weinen), das ist zwar alles schwer, aber irgendwie scheine ich irgendwie damit umzugehen, wie es sich gehört, oder darauf zu reagieren auf alles und irgendwie so eine Art Souveränitätzu erlangen – so langsam. 

3.2.5. Erkenne dich selbst / Realismus

Angelika Brauer: „Erkenne dich selbst! Finde heraus, wer du bist,…“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_12_19:

Und warum ist es wichtig? Weil ich mich doch kenne! Weil ich weiß, wie ich so vor mich hintreibe, wie der Ball, der einfach in die Welt geschossen wurde: einfach die Straße herunter wie ein Windrose.

„… wer du sein willst und sein kannst. Erkenne deine Möglichkeiten und deine Grenzen!“

Stunde der Tiefenwahrheit 2014_05_20:

Das ist alles ein riesiger Unglaube und das Gegenteil von Selbstbewusstsein. Wie könnte man das sagen, wenn man selbstbewußt und…? – Selbstentfremdung oder Verlust, ja stimmt. Ja, man kann es auch als „unbewußt“ – kann man auch sagen: das Gegenteil von Bewusstsein – Unbewußtsein. Ich bin ja nicht da, ich kenne mich nicht, ich habe kein Bewußtsein von mir selber. 

Daß ich das nicht erreiche, diese Freiheit, die ich mir ja irgendwo ersehne, das liegt ja nur daran, daß ich ja noch gar nicht genug da bin, um sie überhaupt wahrzunehmen, um sie überhaupt verkörpern zu können! Dafür bin ich ja noch gar nicht da! Ich kann doch nicht von etwas träumen, was ich noch gar nicht leben kann! 

3.2.6. Selbst, Subjekt, Person

Angelika Brauer: „Zu wissen und zu empfinden: das bin ich, so möchte ich sein und leben, als ein Ich, das mit sich identisch ist, als ein Selbst, ein Subjekt, eine Person.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2015_06_26:

(Weinen) Jetzt eben habe ich mich so angesprochen gefühlt so in meiner echten Person irgendwie so… (Weinen), also diese Person, die da eben an diesem anderen Ufer langgeht oder diese freie Person, das ist so dieser Peter, der andere, der frei ist und er selber ist. 

Thomas Fuchs: „Daß ich zu dem werde, der ich bin – also das sind immer noch die zentralen Fragen.“ 

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_05_26:

Und du sollst einfach nur du selber sein und leben usw. Wenigstens sehe ich das vor mir, was ich meine. Ich sehe, was es heißt, da zu sein und als echte Person einfach da zu sein, in der Welt zu sein und… – ja, überhaupt da zu sein und entsprechend sich bewegen und entsprechend die Dinge zu nehmen. 

3.2.7. Sich selbst gönnen

Stunde der Tiefenwahrheit 2011_12_15:

Ich gönne mir nie, einfach so da zu sein – ich gönne mir das nicht! Es ist immer der Gedanke da, daß alles schnell gehen muß. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2017_11_24:

Jetzt muß ich mir wieder…, noch mal bitte…, noch ein bißchen Ruhe gönnen, Langsamkeit…

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_11_02:

Offenbar habe ich da was übernommen – von jemand anderem, von meiner Mutter vielleicht –, daß ich mir das nicht gönne oder nicht zugestehe, daß ich durchaus unzufrieden sein darf oder muß sogar mit gewissen Zuständen von mir selber. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2015_06_26: 

Wahrscheinlich hat mich das eben totgemacht, das andere. Und ich müßte langsam wieder mal zum Leben erwecken erst mal jetzt. Ich muß einfach mal wieder Kontakt aufnehmen mit dem lebendigen [Peter], den sie da fertiggemacht haben oder der da in diesem Räderwerk untergegangen ist, in dieser Maschine. Ja. Scheißdreck! 

3.2.8. Die max-stirner’sche „Empörung“

weiter Stunde der Tiefenwahrheit 2015_06_26:

Ich muß erst mal mir wieder so selber diesen Luxus leisten oder gönnen, daß ich diesen freien Zustand überhaupt wieder wahrnehme und mir gönne oder haben lasse, diesen freien Zustand. 

In dem Zustand, wie ich bin, so als Vieh oder als Rädchen im Getriebe, da kann das nichts werden! Nein! Ich muß mir diese Freiheit gönnen! Ich muß mir diese Freiheit nehmen! Nehmen! Sein! Ich muß einfach das zulassen, daß ich mich frei fühle! Jaaa! 

3.2.9. Ursprünglichkeit

Richard Purkarthofer: „[Ein] für Kierkegaard wichtiger Ausdruck ist ‚erworbene Ursprünglichkeit‘, der natürlich widersprüchlich in sich ist: Entweder ist etwas erworben, oder es ist ursprünglich. Kierkegaard ist einfach der Meinung, daß diese erste Ursprünglichkeit verloren geht. Theologisch gesprochen heißt das: die Sünde, nämlich wo diese Ursprünglichkeit, die einem ja zugedacht ist, die einen sozusagen als Selbst eigentlich erst konstituiert, abgelehnt wird, sich selbst nicht gegönnt wird. Das Gute, das in dieser Ursprünglichkeit liegt, wird abgelehnt, zum Beispiel indem man an sich selber Erwartungen macht, wie man zu sein hat oder sich den Erwartungen durch andere beugt. Und deswegen muß diese erste Ursprünglichkeit wieder erworben werden.“

Kommentar: Sollte Richard Purkarthofer als Sekundär-Literat hier richtig rezipieren, hätte er vollkommen recht: Die Verzweiflung hat einen Ursprung, auf den man durch Tiefenwahrheit stößt. Durch stete Annäherung an den Ursprung wird die Ursprünglichkeit – das Eine, das den Verzweiflungsteilen zugrundeliegt – wieder hergestellt und die Verzweiflung unterwunden. Dann „erwirbt“ man die Ursprünglichkeit wieder – und mit ihr die Existenz, das Dasein:

Stunde der Tiefenwahrheit 2014_02_12:

Eins ist klar: Ich bin jetzt da! Ich bin da. Ich weiß, daß ich da bin. Da gibt es kein zurück mehr. Ich habe das Gefühl, daß ich es mit etwas Realem zu tun habe, das weiß ich. Und ich weiß auch, daß ich mehr oder weniger zufrieden bin mit mir selber. Und ich weiß auch, daß es Situationen gibt, die ich genieße, und solche, die ich nicht genieße. Und ich weiß auch, daß ich eigentlich nur so was erleben will, was ich genieße – das weiß ich! Ich weiß, daß ich da bin, ich weiß es! Ich stecke meinen Kopf nicht mehr in den Sand oder so was. 

Ich weiß, daß der Rest von meinem Körper – von mir –, nämlich das, was draußen bleibt, daß der sowieso fühlt. Kopf in den Sand stecken, ist ja gut & schön, aber der Rest bleibt ja draußen. 

3.3. Kritik

3.3.1. Kritik an den Experten

Thomas Fuchs: „Authentisch bin ich eben nicht nur dann, wenn ich alle Rollen und alle Erwartungen abschüttele und zu dem finde, was mich eigentlich ausmacht. Ich finde mich ja auch immer nur in den Beziehungen, die ich schon gestaltet habe, in den Rollen, die ich schon angenommen habe. In ihnen realisiere ich auch, was ich sein kann und was ich sein könnte. Und der Gedanke, ich muß nun auf das eigentliche Selbst zurück, und alles andere einfach fallen lassen, weil mich das nur von mir abhält, der ist problematisch oder fast eine Art Ideologie, eine Illusion. Und ich muß dann nämlich immer überlegen: Wie komme ich eigentlich wieder aus mir heraus?“ 

Kritik: Für den Philosophen ist es Ideologie, Illusion und Problem – nicht aber für den Post-Philosophen.

Im einzelnen: 

Wiederholung Thomas Fuchs: „… wenn ich alle Rollen und alle Erwartungen abschüttele…“

Max Stirner, der erster Post-Philosoph: „Ein Ruck tut Mir die Dienste des sorglichsten Denkens, ein Recken der Glieder schüttelt die Qual der Gedanken ab, ein Aufspringen schleudert den Alp der religiösen Welt von der Brust, ein aufjauchzendes Juchhe wirft jahrelange Lasten ab. Aber die ungeheure Bedeutung des gedankenlosen Jauchzens konnte in der langen Nacht des Denkens und Glaubens nicht erkannt werden.“ „Der Einzige und sein Eigenthum“, S. 164

Kritik: Daß „Ruck“, „Abschütteln“, „Aufspringen“ und „aufjauchzendes Juchhe“ eben viel mehr bedeuten als das und daß das „Abschleudern der jahrelangen Lasten“ eben ebenfalls Jahre – ein Leben lang – dauern kann, ist der Grund, warum die Philosophen seit Stirner, d.h. seit fast 200 Jahren, vor diesem „Abschütteln“ zurückgeschreckt und nicht zu Post-Philosophen geworden sind. Max Stirner hat das selbst sehr gut gewußt: „Allerdings kann die Masse der in der Geschichte aufgehäuften und durch die Denkenden stets von neuem erweckten Bedenken nicht durch bloßes Juchhe gehoben werden.“ Und Stirner war sich darüber im klaren, daß Post-Philosophie nicht heißt, das Denken abzustellen und nur noch zu fühlen (wie es später die Adepten verschiedener Psychotherapien tun werden), sondern es vielmehr bestehen zu lassen und es neben das Fühlen zu stellen: „Das Denken darf nicht etwa durch das Jauchzen unterdrückt werden […]. Du, der du das Bedürfnis des Denkens hast, kannst dir die Bedenken nicht bloß wegjauchzen; du muß sie auch wegdenken.“ Max Stirner, Rezensenten Stirners, in: Parerga, Kritiken, Repliken; Nürnberg 1986 S. 170 

Wiederholung Sören Kierkegaard: „Leidend oft bis zu tödlicher Ohnmacht durch fürchterliche Qualen – da ist mein Geist stark, und ich vergesse alles in der Welt der Gedanken.“ 

3.3.1.1. Bindungsangst ist eigentlich Todesangst

Thomas Fuchs: „Das ist ein Wagnis, das er letztlich nie eingehen konnte aus einer grundlegenden Angst heraus, sich verloren zu gehen, also verzweifelt am eigenen Selbst sich nicht in die Beziehung geben zu können – das ist eine Tragik, die Kierkegaards Leben sicher anhaftet.“

Kritik: Die Tragik besteht vielmehr darin, daß es keine vermeintliche Angst ist, sich selbst in Zweisamkeit und Bindung „verloren zu gehen“, sondern: Jede Bindung löst die Todesangst aus, die erlitten und verdrängt worden ist, als einmal die Bindung abriß und man zu sterben glaubte. Doch davon kann ein Philosoph nichts wissen. 

3.3.1.2. Was mich eigentlich ausmacht – Selbstverrat

Wiederholung Thomas Fuchs: „… zu dem finde, was mich eigentlich ausmacht.“

Stunde der Tiefenwahrheit 2014_01_17:

Ich – oder der Junge –, der ja nicht mal den Namen aussprechen darf, der sich dafür schämen muß für das, was er selber ist, das, was ihn wirklich ausmacht, das bißchen, was von ihm übrig geblieben ist – wenn er das nicht mal aussprechen darf, na dann ist es doch kein Wunder!

Stunde der Tiefenwahrheit 2013_03_21:

Das würde ich dann [als] so eine Art…, als riesigen Verrat (Weinen), das würde ich dann wie so einen riesigen, Riesen-, riesigen Verrat an mir und an dem Dorf, an meinem Dorf, und an meiner Oma und… (Weinen) – Diesen Verrat könnte ich nicht aushalten, weil ich genau weiß, daß daran alles hängt oder so: das, was überhaupt mich ausmacht oder… – da hängt alles für mich dran. 

Stunde der Tiefenwahrheit 2012_04_30:

Alles, was überhaupt irgendwie schön ist oder überhaupt das Leben überhaupt irgendwie ausmacht oder überhaupt irgendwie lebendig ist oder so, das ist… – sofort zerreißt mich das. 

3.3.1.3. Sich loswerden

Wiederholung Thomas Fuchs: „Und ich muß dann nämlich immer überlegen: Wie komme ich eigentlich wieder aus mir heraus?“ 

Zitat aus Peter Töpfer, Die Wahrheit – sie sagen und in ihr leben, 2006, S. 185 – 187: 

„Die Wahrheit kommt dann zur Ruhe, wenn es kurzzeitig – im Moment der Bedürfnisbefriedigung – zu einem Stillstand kommt. In diesem kurzen Moment gibt es auch keine Wahrheit mehr, weil keine Informationen mehr fließen. Ich erkenne in mir das Bedürfnis und außer mir etwas, was mein Bedürfnis stillt. Wenn ich mir dieses Etwas hole, verlischt diese Wahrheit. 

Wenn die Wahrheit wirklich fließt zwischen mir und der Welt und gar nicht mehr in Zusammenhang mit Bedürfnissen gesehen wird, wenn alles instinktiv und wortlos vonstatten geht, bin ich ein Teil der Welt und löse mich in ihr auf. Dann habe ich keine Gedanken mehr, auf gar keinen Fall Gedanken an irgendeine „Wahrheit“. Dann nehme ich nichts mehr wahr. Dann schwimme ich in der Welt und in der Wahrheit und kenne nichts anderes mehr. Dann agiere und reagiere ich nur noch. 

Diesem paradoxen Gedanken begegnen wir immer dann, wenn wir von der Wahrheit als Selbstzweck sprechen. Das Gefühl vom Einssein mit der Welt kann man – aus der Warte dessen, der sich nicht mehr in jenem Fluß und jenem Einssein befindet und aus der Warte der Verzweiflung – als Wahrheit um der Wahrheit willen beschreiben. 

Wenn die Wahrheit nichts Abstraktes ist, dann kann sie eigentlich auch kein Selbstzweck sein, dann kann sie nur im Zusammenhang mit etwas anderem da sein – nicht um ihrer selbst willen. 

Kann sie doch. Erst wenn die Wahrheit Selbstzweck und bedingungslos ist, ist das Gefühl oder das Bedürfnis oder der Fluß tatsächlich voll da. Erst in der Unbedingtheit [und Bedingungslosigkeit]meines Willens zur Wahrheit, erst wenn ich unbedingt in der Wahrheit leben will, erfahre ich die Zufriedenheit. Denn ich fühle ein Bedürfnis oder ein Gefühl erst dann, wenn ich es wahrnehme, wenn ich ein untrügliches Gefühl habe. Es gibt eine Art Sinn für Wahrheit, und gleichzeitig gibt es ihn nicht, denn was dieser Sinn mitteilt, das ist das Gefühl, das Bedürfnis [selbst], sonst nichts. Wahrheit, Gefühl, Bedürfnis und Sinn ist eins. So wie es einen Sinn für Wahrheit und das Richtige gibt, so gibt es ein Sinnesorgan der Wahrheit: das Ich. 

Ich kann also einmal nicht mehr sein, indem ich keine Wahrheit mehr habe und kein Bedürfnis mehr befriedige – also ganz tot bin – , und einmal, indem ich die reine Wahrheit habe, d.h. in der vollen Wahrheit bin und alle Bedürfnisse befriedige – also ganz lebendig bin. 

Wenn ich wahr bin, bin ich nicht mehr, denn nur im Ich gibt es Wahrheit. 

Im Zwischenbereich nehme ich mich andauernd wahr, befinde ich mich in Spannung, bin ich Teil eines Gefälles: Die Informationen müssen fließen, damit meine Bedürfnisse befriedigt werden. 

Wenn man es nicht nur mal eben braucht, sondern total geil darauf ist, jemandem etwas zu geben, und genau derjenige, dem man es geben will und muß, es nicht nur mal eben braucht, sondern total geil darauf ist, es von Ihnen zu bekommen, wenn Sie jene Einheit bilden – Liebe –, dann hören Sie beide im gleichen Moment auf zu existieren, wo der Austausch stattfindet. Dann kommen alle Bedürfnisse zum Erliegen, und es gibt keine Wahrheit und kein Ich mehr. 

So wie ich nur zum Teil lebendig sein kann, so kann ich auch nur zum Teil tot sein. Selbst wenn große Teile meiner Bedürfnisse nicht befriedigt werden, hört mein Herz noch nicht zu schlagen auf. Dann muß ich meine Existenz irgendwie aushalten; dann muß ich permanent mit mir leben und werde mich nie los.“ 

3.3.1.4. Sein anstatt das Sein zu erfassen

Jörg Noller: „Kierkegaard hat vor allem Hegel vorgeworfen, die ganze Existenz allein ins Logische zu verlagern, also ‚Existenz‘ nur als eine logische Kategorie zu fassen. Und Kierkegaard ist es darum zu tun, die wirkliche Existenz zu fassen.“29

Kritik: Post-Philosophie heißt im Gegensatz zur Existenzphilosophie: nicht mehr nur zu „fassen“ – und sei es „das Sein“ –, sondern: sein. 

Zum Sein gehört sehr wohl auch das Denken („Fassen“), aber es ist viel mehr als das, und der weitaus größte Teil des Seins ist undenkerisch.

3.3.1.5. Unterscheidung von kognitiver und emotionaler Intelligenz

Richard Purkarthofer: „Er ist natürlich sich selbst darüber im klaren: zu verstehen, was das Leben ist, und das Leben leben – das sind zwei sehr verschiedene Dinge, ja? Dazu ist er zu vertraut mit allen Formen des menschlichen Selbstbetruges. Das Verstehen hilft in diesem Zusammenhang überhaupt nichts.“ 

Kritik: „Verstehen“ kann zwar auf der einen Seite bestenfalls Ahnung von Dingen, schlimmstenfalls reine Ideologie sein. „Verstehen“ kann aber auf der anderen Seite auch volles, gefühlvolles Wahrnehmen, d.h. volles Fühlen der Dinge und ihrer Zusammenhänge sein. Dann „hilft“ es sehr wohl, denn dann wird unmittelbar der Wille freigesetzt, die Lage zu ändern. Selbstbetrug und Verstehen schließen sich jedenfalls gegenseitig kategorisch aus. 

3.3.2. Kritik an Kierkegaard

3.3.2.1. Unterwinden anstatt überwinden

Angelika Brauer: „… erklärt er in seiner Schrift ‚Die Krankheit zum Tode‘. Hier wird der Widerspruch zwischen Geist und Körper, der zur Natur des Menschen gehört, zur Aufgabe, die er mit dem gelingenden Selbst-Sein verbindet. Der Mensch soll den Widerspruch nicht nur aushalten – er soll ihn überwinden.“

Kritik: „Aushalten“ ist zunächst nicht verkehrt. Aber dann geht es nicht um das „über-winden“, sondern vielmehr wird das, was „ausgehalten“, also bewußt gehalten wird, dadurch unter-wunden, indem das Bewußte um das Gefühlte ergänzt, eine Verschmerzung erreicht und der Widerspruch zwischen Geist und Körper „aufgehoben“, besser gesagt: in der Tiefe beerdigt wird und sich auflöst.

3.3.2.2. Nicht statthaftes Ontologisieren

Sören Kierkegaard: „… der Widerspruch zwischen Geist und Körper…“

Kritik: Nicht statthaftes Ontologisieren. Dieser Widerspruch ist zwar äußerst weit verbreitet, aber keine anthropologische Konstante.

3.3.2.3. Existenz-Hegelei / Prä-traumatisches Heidegger-Syndrom

Sören Kierkegaard: „Folgendes ist nämlich die Formel, welche den Zustand des Selbstes beschreibt, wenn die Verzweiflung ganz und gar ausgetilgt ist. Indem es sich zu sich selbst verhält und indem es selbst sein will, gründet sich das Selbst durchsichtig in der Macht, welche es gesetzt hat.“ 

Kritik: Existenz-Hegelei! Prä-traumatisches Heidegger-Syndrom!

Die Verzweiflung „tilgt“ sich nur „aus“, indem Verzweiung und Zweifel durch Wahrnehmen und Fühlen der der Verzweiflung zugrundeliegenden zwei Teile (etwa Körper und Geist) vereint wird. 

Voraussetzung ist natürlich – und da ist Kierkegaard zuzustimmen –, daß sich das Selbst zunächst „zu sich selbst verhält“ und „es selbst sein will“. „Sein wollen“ reicht aber nicht; das Subjekt muß es selbst instant sein – und sei es im Zustand der Nicht-Existenz, des Quasi-Todes und der unendlichen Verzweiflung.

3.3.2.4. Existenz-Wirklichkeit

Wiederholung Zitat Sören Kierkegaard: „… wenn die Verzweiflung ganz und gar ausgetilgt ist.“

Kommentar: So wird die Verzweiflung „ausgetilgt“:

Stunde der Tiefenwahrheit 2019_01_11:

Diese ganze… (Weinen), und diese ganze Verzweiflung, diese unendliche und unlösbare Verzweiflung. 

3.3.2.5. Das Geschlechtliche bejahen, anstatt es zu vernichten

Sören Kierkegaard: „Der Mensch ist Geist.“ 

Angelika Brauer: „Die Bestimmung des Menschen als Widerspruch und Aufgabe: Er soll Geist sein, obwohl er einen triebhaften Körper hat, der seinen Geist bedrängt. Kierkegaard berühmte Formel ‚Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält‘ drückt eine verzweifelte Anstrengung aus. 

Angelika Brauer: „Es liegt nahe, die einseitige Bestimmung des Menschen als Geist mit Kierkegaards persönlichen Problemen zu verbinden.“

Sören Kierkegaard: „Ich muß mir jede mißverständliche Folgerung verbitten, wie zum Beispiel, als ob es nun die wahre Aufgabe wäre, vom Geschlechtlichen zu abstrahieren, d.h. es in äußerlichem Sinne zu vernichten. Die Aufgabe ist natürlich, es in die Bestimmung des Geistes hineinzuweben. Die Verwirklichung dieser Aufgabe ist, daß in einem Menschen eine Liebe siegt, in welcher der Geist dergestalt gesiegt hat, daß das Geschlechtliche vergessen ist und seiner allein im Vergessen gedacht ist.“ 

Kritik: Das Geschlechtliche liegt nicht nur ganz tief im Sein und im Selbst (in „Gott“) und ihm zugrunde, sondern: Das Selbst kann schlichtweg nicht da sein, wenn das Geschlechtliche vergeistigt und vergessen wird. Ein Sein ohne das Geschlechtliche ist der Inbegriff der Sinnlosigkeit. Selbstverständlich muß das jeder für sich für wahr oder unwahr finden. Kein Mensch sollte „bestimmt“ werden; stattdessen sollte jeder seine Stimme aus sich heraus aufsteigen lassen („Be-Stimmung“) und einfach sein – geschlechtlich oder nicht. 

– ENDE 3. TEIL – 

1 https://youtu.be/LN4VGkbIZAA 

2 http://blog.peter-toepfer.de/alexander-dugin-das-grosse-erwachen-und-das-radikale-subjekt-die-radikale-libertaere-linke-meldet-sich-bereit/ 

3 Hat in der Audio-Fassung auf Youtube Zeitangaben; einfach dort oder hier auf das Kapitel in der Übersicht oder im Text klicken, um direkt an die gewünschte Stelle zu gelangen. 

4 Hölderlin, Post-Philosophie und Tiefenwahrheit, Teile 1 bis 4: https://www.youtube.com/watch?v=b4xYv7wC1gs&list=PLvnPNlSwjOOmyARGSx9oEpTCBIhw8pas1

5 Reinhold Oberlercher, System der Philosophie, Mengerskirchen 2014. Siehe auch: http://blog.peter-toepfer.de/reinhold-oberlercher-und-das-genichtete-nichts/ 

6 Video „Horst Mahler meldet sich zurück, ‚Also da bin ich wieder…'“ von Anfang Dezember 2020 nach Horst Mahlers Entlassung aus der Gefangenschaft: https://endederluege.com/horst-mahler-meldet-sich-zurueck/, https://5.videolyser.de/videos/2243917/22297303_sd.mp4?fbclid=IwAR2oBBAkfryI-2u6n6inz6tU33hFnrRPU2AMwumt6UN9yuem1QZwKevUiMw 

7 Zitat in: „Sören Kierkegaard oder: Was es heißt, ein Selbst zu sein. Ein Feature von Angelika Brauer“, WDR 2013, kurz: Brauer WDR 2013, https://www.youtube.com/watch?v=NDTsrE-mg_U&t=34s, Youtube-Kanal: Roger Vanhorn, Youtube-Titel: „Kierkegaard – Gefährliche Gedanken“

8 Zitiert nach: Philosophie des 19. Jahrhunderts – „Ich tanze nicht“ – Sören Kierkegaard. Von Peter Bürger (Verfasser einer „Theorie der Avantgarde“): https://www.youtube.com/watch?v=DvOntIq5EOE&t=34s

9 Max Stirner: Rezensenten Stirners, in: Parerga, Kritiken, Repliken; Nürnberg 1986 S. 153

10 https://en.wikipedia.org/wiki/Young_Hegelians#Die_Freien 

11 https://www.youtube.com/watch?v=LfduUFF_i1A  

12 http://www.lsr-projekt.de

13 Zitat in: Brauer WDR 2013

14 Dr. Jörg Noller (Ludwig-Maximilians-Universität München) in seiner Vorlesung „Kierkegaards Theorie der Sünde“ (6/2018): Video: https://www.youtube.com/watch?v=DIBSUj7FuoQ&t=2s, Text: http://philocast.net/kierkegaards-begriff-der-suende-2

15 Brauer WDR 2013 (Siehe Fußnote 20)

16 Max Stirner: Rezensenten Stirners, in: Parerga, Kritiken, Repliken; Nürnberg 1986 S. 170

17 Vorlesungen „Der Leib, der Raum und die Gefühle – Hermann Schmitz“: https://www.youtube.com/watch?v=hPIqZP0X5Tk und „Neue Phänomenologie: Raum des Leibes, Raum der Physik“: https://www.youtube.com/watch?v=7v8UxkQevs8 von von Jochen Kirchhoff. Reinhold Oberlercher: „Die letzte Philosophie der BRD“: https://oberlercher.de/blog/die-letzte-philosophie-der-brd 

18 Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum, Reclam-Taschenbuch Stuttgart 1972, S. 164

19 Friedrich Wilhelm Schelling, „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit“, 1809, http://www.fh-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Schelling/sch_frei.html 

20 Max Stirner, Rezensenten Stirners, in: Parerga, Kritiken, Repliken; Nürnberg 1986 S. 170

21 Siehe „Ballade von der Wiederzusammen= & WiederübereinStimmung zweyer Stimmen“ in: Hölderlin, Post-Philosophie und Tiefenwahrheit 4/7: Wiedervereinigung von Geist & Gefühl in Aktion: https://www.youtube.com/watch?v=V0_cqYt4img&list=PLvnPNlSwjOOmyARGSx9oEpTCBIhw8pas1&index=5 

22 Max Stirner, Rezensenten Stirners, in: Parerga, Kritiken, Repliken; Nürnberg 1986 S. 170

23 Zitiert nach: Philosophie des 19. Jahrhunderts  – „Ich tanze nicht“ – Sören Kierkegaard. Von Peter Bürger (Literaturwissenschaftler Universität Bremen, Hauptwerk „Theorie der Avantgarde“): https://www.youtube.com/watch?v=DvOntIq5EOE&t=34s 

24 Peter Töpfer: Hölderlin, Post-Philosophie und Tiefenwahrheit, Teile 1 bis 4: https://www.youtube.com/watch?v=b4xYv7wC1gs&list=PLvnPNlSwjOOmyARGSx9oEpTCBIhw8pas1&index=1&t=383s 

25 Peter Töpfer: Die Wahrheit – sie sagen und in ihr leben, 2006. Gedruckt: http://faultierfarm.net/produkt/wahrheit/, digital: http://faultierfarm.net/produkt/wahrheit-digital/ 

26 http://die-dienste.peter-toepfer.de, http://zuhoerdienst.peter-toepfer.de, http://wahrsagerei.peter-toepfer.de, http://abnahmestelle.peter-toepfer.de

27 Zitiert nach: „Sören Kierkegaard oder: Was es heißt, ein Selbst zu sein. Ein Feature von Angelika Brauer (WDR 2013)“ (Kurz: Brauer WDR 2013), https://www.youtube.com/watch?v=NDTsrE-mg_U&t=34s, Youtube-Kanal: Roger Vanhorn, Youtube-Titel: „Kierkegaard – Gefährliche Gedanken“. Angelika Brauer, 1953 in Krefeld geboren, studierte Germanistik und Philosophie, lebt in Berlin, schreibt vor allem über philosophische und theologische Fragen. Radio-Features: „Kein Gott nirgends oder: Zurück zur Vernunft“ (WDR 2007), „Vertrauensfragen“ (Deutschlandradio Kultur 2012), „Sterben lernen“ (WDR 2015), „Von der Zeit zum Leben – Annäherung an ein unfassbares Phänomen“ (SWR 2017), „Mitleid – Zur Verteidigung eines verhassten Gefühls“ (WDR 2018). Alle weiteren Zitate haben die gleiche Quelle – außer wie angegeben. 

28 Zitiert nach: Philosophie des 19. Jahrhunderts – „Ich tanze nicht“ – Sören Kierkegaard. Von Peter Bürger (Literaturwissenschaftler Universität Bremen, Hauptwerk „Theorie der Avantgarde“): https://www.youtube.com/watch?v=DvOntIq5EOE&t=34s 

29 Kierkegaards Theorie der Sünde, Universitäts-Vorlesung von Dr. Jörg Noller (Ludwig-Maximilians-Universität München): Youtube-Titel: Kierkegaards Theorie der Sünde, Youtube-Kanal: PhiloCast, Text dazu: Kierkegaards Begriff der Sünde (6/2018), http://philocast.net/kierkegaards-begriff-der-suende-2