Das 1928 erschienene Buch „The Secret Teachings of All Ages“ ist das Magnum Opus des Freimaurers Manly Palmer Hall (vom Namen her eine sehr maskuline Person, schließlich hieß er ja schon „Männlich“ mit Vornamen.) Dieses Buch beschreibt, wie der Titel schon erahnen lässt, religiöse Lehren (der antiken Griechen, Ägypter und des Judentums sowie der Freimaurerei). Aufgrund dessen ist es im Thema und Aufbau den traditionalistischen Büchern eines Guénon und Evola sehr ähnlich und deswegen auch für die Vierte Politische Theorie interessant. Im Gegensatz zu Evola liegt der zentrale Fokus jedoch auf konkreten Lehren einiger Personen oder Gruppen und weniger auf sozialen Systemen und Regeln. Deswegen erinnert es am meisten an die Werke Miguel Serranos.
Wie letzterer ist Chad, ach nein, Manly Hall auch deutlich von der Theosophie inspiriert – dies wird leider in weiterer Folge zum Problem. Während große Teile des Buches sehr gut recherchiert sind, zeigen einige andere Stellen im Buch die theosophische Tendenz, sich eine phantastische Hintergrundstory um reelle Riten herum auszudenken. Jedoch ist es Gott sei Dank, wenn man theosophische Schriften und Klischees kennt, sehr leicht, die Wahrheit vom „Blödsinn“ zu trennen. Die Grundregel lautet: Sobald irgendwelche angeblich existierende Artefakte untergegangener Reiche, Atlantis oder Thesen, die sich zu sehr wie der Stoff eines „Indiana Jones“ Films anhören, ins Spiel kommen, ist Vorsicht und Skepsis geboten. Ein Hauptthema des Buchs ist Mathematik und Zahlensymbolik. Dieses Buch enthält auch eine der umfangreichsten Erklärungen zur Philosophie des Pythagoras, bei der auch sehr gut ersichtlich wird, welche Verbindung seine Philosophie zu Platon, der Kabbala und dem alten Ägypten aufweist. Dies ist der Höhepunkt des Buches. Jedoch zeigte Evola, dass die Symbolik dieser Denkrichtungen auch bei anderen Kontexten wie der Initiation der Kriegerkaste des antiken Mazedoniens vorkommt. Deswegen empfiehlt es sich, zusätzlich zu diesem Buch auch Evolas „Metaphysik des Krieges“ und „Mysterium des Grals“ zu lesen, um das komplette Bild zu erhalten.
Es wird sehr stark auf die Thematik des heiligen männlichen solaren Prinzips und des heiligen weiblichen lunaren Prinzips eingegangen. Sonderlich viel Neues steht dort für Kenner Evolas jedoch nicht. Evolas „Metaphysik des Sexus“ ist in diesem Bereich sogar ausführlicher. Leuten, die sich mit Alexander Dugins Noomachie beschäftigen, wird jedoch auffallen, dass Manly P. Hall neben den gnostischen Lehren auffällig oft die griechischen Figuren Hekate und Dionysius als religiöse Archetypen betont. Und auch, dass Hall den Menschen als in einem Zwischenstadium zwischen der himmlischen patriarchalen Welt (Repräsentiert durch Apollon) und der materiellen Welt (symbolisiert durch die Titanen) befindend und mit der Fähigkeit, sich in beide Richtungen zu entwickeln, beschreibt.
Im Kabbalismus wird die Kabbala (welche mit der Leiter bei der Freimaurerei korrespondiert) sowohl mit einer lichten Seite, als auch einer dunklen, verbotenen Seite (der Qlipothischen Kabbala) beschrieben. Die Qlipothische Kabbala soll in die Dunkelheit, Gottesferne und Seelenlosigkeit führen und den Menschen die Menschlichkeit nehmen (und ihn der Materie gleich machen, ergo in Richtung der Titanen führen.) Der Unterschied zwischen der Lichten und der Dunklen Kabbala ist die Sortierung der vier Hauptteile. Bei der lichten Seite steht die göttliche Ordnung und Gebote an oberster Stelle, während bei der qlipothischen Kabbala der materielle Erfolg zur höchsten Stelle erhoben wird. [1] Dies spiegelt Dugins Dichotomie von Dionysius und Adonis als dunklem Zwilling wieder. Möglicherweise erklärt dies den Unterschied zwischen traditionalistischen Freimaurern und dem bekannten Bild der Freimaurer als Architekten der westlichen Moderne und Auslöser der französischen Revolution etc. Wie Kerry Bolton zeigte, zog sich der Konflikt sogar in einzelne Logen, was der Fall des Joséphin Péladan beweist, welcher gegen die Einflüsse der französischen Revolution kämpfen wollte und sich in seiner Loge dafür einer Intrige von Stanislas de Guaita einhandelte (welcher die Freimaurerei mit nach Russland exportierte), Abbé Boullan und einem Mitglied der Familie Rothschild ausgesetzt sah.[2] Möglicherweise kommt aus dieser dionysischen Doppelnatur der Freimaurerei auch die Regel, dass eigentlich Atheisten nicht in Logen erlaubt sind. Der Freimaurer muss über eine offene Religion wie dem Christentum an den Logos des Apollon gebunden sein, um nicht zum materialistischen Adonis zu werden.
René Guénon beschreibt, dass der Logos des Dionysius die Religion des „dritten Standes“ war. In der Regel wird davon ausgegangen, dass die Freimaurerei eigentlich eine Form von mittelalterlicher Gilde war (siehe hierzu Guénons Buch zur Freimaurerei.) Das Wort Gilde leitet sich auch von einem altdeutschen Wort für „Saufen“ ab, was zu Dionysius passt. Deswegen ist interessant, dass Manly P. Hall die Freimaurer-Riten und die Legende des ermordeten und wieder zum Leben erweckten Hiram, indirekt auf Dionysius zurück führt. (Auch so einiges, was in dem Buch nicht in diesem Zusammenhang erwähnt wird, passt frappierend zur These des Logos des Dionysius: beispielsweise die Symbolik der Säulen Jachin und Boas, welche den Mond und die Sonne, und damit die chymische Hochzeit und das „heilige göttliche Paar“ symbolisieren.) Wie Dugin bei Dionysius beschreibt, steht der freimaurerische Meister Hiram für die Menschenseele und die Seele des Freimaurers. Der Tod Hirams wird als spiritueller Tod beschrieben, welcher dem Meister (und somit auch der Seele des Menschen) das Vermögen, richtig zu sehen, richtig zu fühlen und richtig zu denken, nahm. Dieser geistige Tod sorgt für die Gefangenschaft des Menschen in der materiellen Welt und die Ausbildung des Freimaurers soll beides heilen und metaphorisch zu Hirams Wiedergeburt führen. Der Grund für den Mord an Hiram war gleichzeitig auch der Materialismus selbst. Aus diesem Grund wollten die Mörder ihm göttliche Geheimnisse stehlen. Hirams Mord erinnert an den Angriff der Titanen auf die Götter in der Dionysius-Geschichte, der den Menschen vom Heiligen trennt und ihn der Materie und den Titanen näher bringt, von denen er sich befreien muss. Hiram ist zwar selbst kein Gott, jedoch Träger des geheimen Wissen um das „göttliche Wort“ (welches auf den geheimen echten Namen Gottes anspielt, ein Wissen, welches laut der Kabbala nur den höchsten Priestern der antiken Juden vorbehalten war.) Sehr positiv fällt bei dem Buch auch auf, dass im Gegensatz zu Albert Pikes Büchern Manly P. Hall nicht die Moderne und nicht die Französische Revolution verherrlicht, sondern ganz klar der Welt der Tradition verschrieben bleibt. Hall zeigt sogar auf, wo Pike interessante Aspekte zum Thema Tradition entdeckt hat. Deswegen ist Halls Arbeit für eher traditionell oder neurechts gesinnte Freimaurer wie die Grande Loge Nationale Française (die mit der französischen Neuen Rechten kooperiert und sich explizit auf Guénon und Evola beruft) [3] sehr nützlich. Dieses Buch ist auch deutlich besser gegliedert als Pikes Bücher. Leider beschränkt sich das Buch, wie so viele Bücher aus dem Bereich, auf Ethik und Symbolik und vernachlässigt das Praktische. Trotzdem ist es empfehlenswert, dieses Buch zu lesen.
[1] Crowleys britischer Nachfolger Kenneth Grant spekulierte, die Qlipothische Kaballah sei ein Überrest
untergegangener matriarchalisch geprägter Kulturen. Dies passt zum Logos der Kybele.
[2] https://counter-currents.com/2018/10/josephin-peladan-the-occult-war-against-liberal-decadence/
[3] Siehe: https://counter-currents.com/2012/11/freemasons-against-the-modern-world/