Folgend der Tradition von Spengler, Leontjew und Toynbee entwirft der Autor im Buch „Das Zivilita Gestirn“ eine Alternative zur Globalisierung und dem damit verbundenen Zivilisationsbegriff. In vielen Dingen kommt jenes kleine Buch zu ähnlichen Schlüssen wie Dugin in seiner Vierten politischen Theorie, speziell in seinen „Konflikten der Zukunft“. Er ist demnach als eine eigenständige Ergänzung und auch Anreicherung dazu zu verstehen. Für den Autor sind die verschiedenen Zivilisationen einerseits Schöpfungen der Biosphäre nach dem Gesetz der Vielgestaltigkeit, auf der anderen Seite sind sie aber auch durch ein Selbstbewusstsein gekennzeichnet, einen göttlichen Willen.
Die Zivilitae leben in einen engen Raum mit ihrer Umwelt einerseits als Korpus der den Menschen prägt, auf der anderen Seite prägt aber der Mensch in einer Symbiose durch seine Teilnahme am göttlichen Willen wiederum die Umwelt. Er bringt sich kulturell ein, dadurch werden die Kontinentalplatten abgegrenzt und kulturalisiert. Sie nehmen ihrerseits den Geist in sich auf, den sie wiederum durch die Geschichte zurückwerfen, indem sie die Landschaft prägen, wodurch der Charakter der Strahlkraft eines in diesem Raum geformten Gedankens hervortritt. In der russischen Zivilisation ist hier besonders das Erbe der Rus zu betrachten, die Orthodoxie, wie auch tragende zentrale Orte, die in sich zusammen wie in einem Zentrum interagieren: Kiew, Sankt Petersburg und schließlich Moskau als Zentrum des dritten Roms. Auf der anderen Seite sind es die umliegenden Grenzgebiete der Peripherie sowie auch der geographischen Tatsachen, welche eine Zivilisation abgrenzen und in Form von Zwischenräumen, welche auch als Interaktionsräume zweier Zivilisationen fungieren.
Eine Zivilitae entsteht immer aus einem Informationsstrang von oft heiligen Schriften und eines Willensimpulses in Form von auch vorgreifenden Herausforderungen und den Eingriff des Schicksals als göttlichen Willen in die Unternehmungen. So führt der Autor diverse Beispiele aus der Geschichte an, wo sich klar die Mitwirkung dessen zeigt, was die europäische Kultur als Gottesurteil sah, indem diverse Einlenkungen der Natur, aber auch scheinbarer Zufälle, über den Erfolg oder Misserfolg maßgebend mitentschieden. Der Autor führt hier als Beispiel die Schlacht um Stalingrad an, wo aus seiner Sicht eindeutig die kosmischen Kräfte mit einlenkten und es auch entsprechende Ahnungen eines deutschen Generals gab. Hierzu bemüht er auch den Vergleich der Angliederung der Krim zurück zur russischen Zivilisation, die ohne Blutvergießen vonstatten ging, mit dem Donbass, wo Blut und Zerstörung Folge der ukrainischen Separation, die in Russland immer eine Teileinheit hätte sein können, waren. Des weiteren zeigt er auf, wie sich manche Dinge schon in den Vorahnungen spiegelten, die sich schließlich bewahrheiteten.
Für die Zivilitae handelt es sich um eine grundlegende Eigenschaft, dass diese sie selbst bleiben; aus den Zivilitae erheben sich die Gerechten, die Helden: jene, welchen es gelang durch eine reine Haltung sich dem Göttlichen zu nähern. Da der Mensch wie die Natur der Verschiedenartigkeit unterliegt und das Göttliche als höchstes Sein nicht gänzlich fassen kann, so stellen sie Wege einer Auslese des Menschen dar für das höhere Reich am jüngsten Tag. Die Zivilitae sind als soziohistorische Einheiten nicht aufzulösen, wie dies die Gloablisierung will; dies würde nicht nur gegen das Gesetz der erwähnten Vielgestaltigkeit verstoßen, sondern sich auch dagegen wenden, dass sie sich gegenseitig stützen. Weiters könnten diese manche Abwege durch die gegenseitige Hilfestellung korrigieren, um sich in seinen Potenzial vollends zu verwirklichen sowie sich auf je eigene Art zu korrigieren. Es wäre eine Art von Hybris und ein Widerspruch zum Prinzip der Erscheinung des Göttlichen in den Dingen, wollte man willkürlich das Besondere zu etwas Allgemeinen machen, wie es die westliche Welt tut.
Man darf sich zugleich, wie bereits erwähnt, die Zivilitae trotz ihrer Abgegrenztheit nicht als geschlossene Räume vorstellen. Sie sind dazu berufen, sich gegenseitig zu fördern, was einen Verkehr jeweilig ausgebildeter Eliten als Vermittler ihrer Form und ihrer Eigenart bedarf. Der Kontakt wird umso harmonischer, je verschiedener und dadurch ergänzender diese sind, ohne sich zu negieren. Dies kann jedoch durchaus problematisch werden, da diese auf dem gleichen Grundkonzept fußen, was zu ständiger Konkurrenz untereinander führt. Eine Zivilitae, die sich ein Zentrum des Lebens bildet, tritt in einen kreativen Austausch zu einer anderen, die einen anderen Gedanken in sich inkarniert. Ein weiterer Bereich betrifft die Beziehung von Kultur und Natur; die Zivilitae ist immer gebunden: sowohl an die Kultur durch den Eingriff des menschlichen Geistes, aber auch an die Natur wie bereits zuvor erwähnt. Die Gefahr besteht hier in der Entfremdung, weshalb trotz aller Befreiung von der Natur durch die Kultur die Natur immer bewahrt werden muss. Erst sie bildet die Grundlage zur Formung der Kultur als Gegensatz, und der Boden wiederum prägt das historische Wesen des Menschen.
Am Ende erläutert Milowatskij noch, warum der Westen so werden musste, wie er ist. Er erklärt dies mit dessen Zerklüftung: Da der Westen räumlich zerteilt ist, verlor er seine Zentren. Die Zentren sind nicht mehr an eine tektonischen Platte des Großraums gebunden. Dies liegt an der Zerteilung und Trennung des Westens durch das Meer und ist Grundursache für den Verlust eines zusammengehörigen Raumgefühls, was man auf die Welt dann überträgt in Form des Universalismus.
Der Mensch kennt keine Ganzheitlichkeit eines umgrenzten Sinnraumes mehr, und da er diese vermisst, entbehrt er auch der Anerkennung des Anderen. Ein Weg zur Lösung hiervon wäre, dass sich Zentraleuropa, und hier vor allem auch Deutschland, wieder auf etwas Eigenes beziehen und dadurch auch in geopolitischen Fragen wieder das Andere nicht nur als gleichberechtigt, sondern auch als etwas Gutes anerkennen kann. Das beste Beispiel bietet hier die Ukrainekrise: Indem die Ukraine als Teil der russischen Zivilisation, aber auch als Kontaktraum mit Europa und dem Westen anerkannt wird, kann ein Frieden mit jener benachbarten Zivilitae und auch ein Austausch in Form eines Kontaktraumes zwischen zwei verschiedenen, aber sich ergänzenden Sinnräumen entstehen.
Fazit: Das Buch ist trotz seiner Kürze ein durchaus wichtiger Beitrag zur Ideengeschichte der Multipolarität. Es erweitert und konkretisiert viele Gedanken zur multipolaren Weltordnung. Das Werk umschreibt in einer seltenen Klarheit die Komponenten einer Zivilisation, die sowohl deren ökologische wie kulturelle und geistige Komponenten umfassen, ohne sich gegenseitig auszuschließen; ebenso wie diese Größen nicht nur notwendig sind, um als Zivilisation heute autonom zu sein, sondern auch für die Teileinheiten selbst um sich als solche zu verwirklichen. Am Ende wird noch im Nachwort ein besonderes Augenmerk auf Deutschland gelegt, welches in der heutigen westlichen Zivilitae nur die erste Kolonie unter anderen ist und einer impotenten EU als Zahlmeister dient. Die Alternative dazu wäre, dass Deutschland mit seinen noch vorhandenen Potenzial fern der heutigen kulturellen und politischen Eliten wiederum zu einem selbständigen Akteur werden kann mit einem engen Austausch zur russischen Welt.
Die Rezension erschien zuerst hier.
Das Buch Walerij S. Milowatskij „Das Zivilita-Gestirn. Traktat über die Planetarität der Menschheit“ kann für 9,50 € hier bestellt werden.