Zur Wagner-Oper Rienzi, der letzte der Tribunen und der aktuellen Inszenierung von Philipp Stölzl an der Deutschen Oper Berlin
Es gibt im Moment nur eine Art, Rienzi zu inszenieren: Rienzi muß als Hitler auf die Bühne, alles andere wäre völlig wertlos. Bereits im Januar 2010 hatte an der Deutschen Oper in Berlin eine Rienzi-Inszenierung Premiere, die wir erst jetzt, im März 2016, sehen konnten. Da Philipp Stölzl für die Inszenierung verantwortlich zeichnen sollte – ein Regisseur, der bisher ausschließlich positiv aufgefallen war – standen die Chancen nicht schlecht, daß wir tatsächlich Hitler zu sehen bekommen würden. Und so war es dann auch.
– Nicht ganz: Rienzi war schließlich eine Mischung aus Hitler und Mussolini, was so durchgehen kann, wird Rienzi in der Oper ja am Ende ermordet, während der Führer sich nach Stand der Forschung selbst umgebracht hat. Und Irene, Rienzis geliebte Schwester, war entsprechend Eva Braun und Clara Petacci. Trotzdem hätte Stölzl konsequent sein und der richtige Hitler auf der Bühne stehen müssen – dann wäre er eben, kleine Änderung, auf der Bühne etwas anders zu Tode gekommen als real 1945. Aber davor ist Stölzl zurückgeschreckt – offensichtlich hatte er nicht genug Vertrauen in die Freiheit der Kunst.
Gut, das war schade – der Knaller Hitler auf der Bühne samt Jaulen des verdummten BRD-Establishments wäre zu köstlich gewesen –, aber immerhin war es also ein Hitler-Ersatz, den wir, hervorragend von Torsten Kerl gesungen und dargestellt, zu sehen bekamen. Gleich in der Ouvertüre begegnet uns der Führer auf dem Obersalzberg – hier noch durch ein Double dargestellt, das den Rienzi radschlagen läßt und etwas zu chaplinesque, aber trotzdem mit vom Publikum sichtlich goutierten Humor darstellt. Und hier kommt auch schon die erste geniale Regie-Anweisung Stölzls: Rienzi liegt auf seinem großen Eichentisch, schaut durch ein großes Fenster auf die Alpen hinaus und – träumerisch-genießend – dirigiert die Ouvertüre mit! Das heißt: dem Führer ist diese Musik wohl vertraut. Es ist eine Oper über den ins 20. Jahrhundert geholten Rienzi, der die Musik nicht kennen kann. Der wirkliche Führer wird schon ganz am Anfang seines Aufstiegs im Männerwohnheim in Wien diese und später (auch noch im Bunker?) die Ouvertüre so dirigiert haben – und jetzt ist er selbst Teil der Aufführung dieser Oper. Rienzi hört Rienzi, der Rienzi hört… Statt Bild im Bild (wie noch in Stölzls Holländer – eine herausragende Produktion des Theater Basel, die noch letztes Jahr in Berlin zu sehen war) hier also Musik in der Musik bzw. das Ich im Ich: Rienzi dirigiert seine eigene Oper. Das ist aber keine formale Spielerei, sondern hat seinen triftigen inhaltlichen Grund, weil Rienzi zurückblicken kann…
Denn von Anfang an ist klar: Rienzi ist Hitler, beide verschmelzen, werden eine Person. Und das völlig zu recht: Sowohl sah Wagner die Revolution kommen und wünschte sie herbei und kann ihm eine gewisse Voraussicht attestiert werden – dann wanderte sein Rienzi um einige Jahre (an 1848 vorbei) nach vorn auf der Zeitskala –, als auch ist hinlänglich bekannt, daß sich Adolf Hitler geradezu schicksalhaft vollständig mit dem Rienzi der Wagner-Oper identifizierte – und somit in der Zeit zurückwanderte. Ohne Hitler und seine Identifizierung mit Rienzi würde diese Oper heute kaum mehr aufgeführt werden und wäre vielleicht schon vergessen – aus dieser Identifizierung speist sich noch heute das Interesse an ihr, weswegen die eingangs proklamierte Notwendigkeit besteht – und weswegen im übrigen diese Oper nach 1945 Tabu war.
Wagners Rienzi ist nicht grundlos nicht im Bayreuther Kanon vertreten, ist diese Oper doch noch vor der Wagnerwerdung Wagners komponiert worden. Wenn sie über die besagten historisch-psychologischen Gründe hinaus doch dem Vergessen entrissen werden soll und ihren Platz im Repertoire verdient, dann weil sie die italienische Oper (Bellini) und die französische Grande Opéra (Meyerbeer) zum Vorbild hatte, diese aber – in teutonischer Manier – radikalisierte und perfektionierte und somit großen Kunstgenuß bereitet. So, wie die Deutschen über das Ziel Umerziehung und Anglifizierung („beamer“, „public viewing“ etc.) hinausgipfeln, so zeigt Wagner hier, wie italienisch und französisch richtig geht: „Die große Oper, mit all ihrer szenischen und musikalischen Pracht, ihrer effektreichen, musikalisch-massenhaften Leidenschaftlichkeit, stand vor mir; und sie nicht etwa bloß nachzuahmen, sondern, mit rückhaltloser Verschwendung, nach allen ihren bisherigen Erscheinungen sie zu überbieten, das wollte mein künstlerischer Ehrgeiz.“
„In großartigen, mitreißenden Bildern entwickelte mir Rienzi die Zukunft des deutschen Volkes“, sagte Hitler über sein Erlebnis des Rienzis im Jahre 1905 als 16-jähriger an der Oper in Linz. Und: „In jener Stunde begann es!“ Seine Karriere ist ohne Rienzi nicht vorstellbar. Die Wagner’sche Rienzi-Figur war das Vorbild des Führers, der sich zwar schon damals für Politik interessierte, aber noch viel mehr für die Kunst – insbesondere für Wagner-Opern – bzw. für die Politik als dramatischen Stoff in der Kunst. Hitler nahm die Kunst sehr ernst, und die Politik inszenierte er, kurzum: Kunst und Politik waren tatsächlich eins für Hitler. Und so stammt dann folglich später auch der ganze Römerkult der Nationalsozialisten – die Standarten, der angeblich deutsche Gruß, „Rienzi Heil!“ u.s.w. – aus Hitlers Rienzi-Rezeption!
Das alles ist sattsam bekannt und nährte sogar die These, wonach die ganze Politik Hitlers reine Phantasie und nichts als eine Nachinszenierung des Rienzi war. Wenn das Rom des 14. Jahrhunderts darnieder lag und zur Beute von dekadenten und schmarotzenden Adligen geworden war, die die römischen Bürger terrorisierten, so traf das in Hitlers Sichtweise deckungsgleich auf den Zustand seiner Heimat zu. Und wenn Wagner einen Tribun aus dem Volk erstehen läßt, der mit diesem Zustand aufräumt und Rom wieder zu frohem Leben und Volkssouveränität führt, so kam für Hitler nichts anderes in Frage, als genau dieser Tribun zu werden.
Entsprechend läßt Philipp Stölzl in seiner Inszenierung den fallenden Rienzi dann ganz deutlich mit der berühmten, auf dem Rücken zitternden Parkinsonhand seine Generäle schikanieren. Das Bühnenbild ist jetzt, im Krieg zwischen Revolution und Konterrevolution, geteilt: oben das deutsche Volk, das diese Katastrophe erleben muß, und unten der Führerbunker, in dem am Ende das Licht nur noch flackert und aus dem heraus der Führer per Fernsehen in UFA-Ästhetik Botschaften auf eine die ganze Bühne einnehmende Leinwand oben sendet, unter der die Soldaten in Zeitlupe fallen und von den Frauen beweint zu Grabe getragen werden.
Zuvor – zu Zeiten Rienzis Aufstieg – ist die Bühne eine kubistisch-futuristische Großstadtdarstellung, wobei aber seltsamerweise die Farben dieser Zeichnung verblichen sind, so als hätten wir es auch hier wieder mit einer Zeitverschiebung zu tun: Sollen wir mit diesen Bildern auf unsere Gegenwart, in der wir es gewohnt sind, einst leuchtende Farben vergilbt zu sehen, verwiesen werden? Vor dieser Metropolis-Kulisse werden die Orsinis und Colonnas etwas verharmlosend als Gangster und Ganoven mit Gamaschen und Maschinengewehren dargestellt; alle Menschen tragen zum Zeichen ihrer Betäubung und Entfremdung Masken – die sie nach Entmachtung der Adligen und Rienzis Machtergreifung prompt abnehmen. Hier wird das Volk optimistisch, und eine Aufbruchstimmung entsteht auf der Bühne und im Zuschauerraum: das Volk nimmt von seinem Land Besitz und baut es auf. Es marschiert allerdings nun in einen Kollektivismus; die Übernahme von Verantwortung eines Jeden bleibt aus: der Fehler nationaler Erhebungen. Alleine die adlig-reaktionären Nobili-Chefs scheren aus und schmieden, im letzten Glied der Marschkolonne, Attentatspläne. Adriano, der Sohn des Führers des Colonna-Clans – sehr gut dargestellt und gesungen von Daniela Sindram in der Hosenrolle –, ist Graf von Stauffenberg, der zwischen den Stühlen seiner Herkunft und der Liebe zu Rienzis Schwester (Martina Welschenbach), zwischen dem Volk und dem im Rausch befindlichen Tribunen sitzt – nicht recht wissend, wohin er gehört, und so mißlingt ihm auch das Attentat.
Eingedenk der stupenden Identifikation Hitlers mit Rienzi drängt sich immer diese Frage auf: Was mag Hitler über Rienzis Ende gedacht haben? Die Identifikation kann doch schlecht so weit gegangen sein, daß Hitler Deutschlands Katastrophe und seinen eigenen Untergang in Szene gesetzt hat. Müssen seine Gedanken nicht vielmehr in Richtung einer Lehre gegangen sein, die er aus Rienzis Schicksal gezogen und die ihn vor dem Fall bewahrt hätte? Die Lehre kann nicht sehr tiefgreifend gewesen sein. (Die einzige Lehre, die Hitler dagegen tatsächlich aus Wagners Rienzi gezogen haben dürfte, lag im Umgang mit seinen Attentätern: Rienzi nämlich begnadigt die seinigen – mit letalen Folgen.) Und so fragt man sich auch, warum der Rienzi überhaupt in der Hitler-Zeit so oft gespielt wurde. Hatte man schon den Fall vor Augen? Gehörte der Fall etwa von Anfang an dazu? War gar die Revolution nicht ernst gemeint? Irgendwie fühlt sich diese Erfolgsphobie deutsch an.
Stölzl stellt das Leid des Volkes und dann die Ermächtigung von Volk und Tribun gut nachvollziehbar dar, und starke Sympathien sind ganz auf deren Seite. Das liegt nicht zuletzt an der vorzüglichen Arbeit aller Solisten, des Chores und des Orchesters der Deutschen Oper Berlin, das unter dem Dirigat des jungen US-Amerikaners Evan Rogister phantastisch aufspielt. Das Publikum belohnt das Ensemble mit mehrmaligem Szenenapplaus – das habe ich so noch nie erlebt: Die Begeisterung des Volkes springt regelrecht auf das Berliner Publikum über. Aber auch machen sich Nachdenklichkeit und Sorge im Publikum breit, wenn Germania in Krieg und Elend versinkt; man spürt die Angst vorm Kriege.
Wie auch Wagner schon in den Vorstellungen nach der Dresdner Uraufführung, teilt Philipp Stölzl das Werk in zwei Teile, kürzt es auf zweieinhalb Stunden und setzt seine Interpretation stringent um. Nach etwa anderthalb Stunden auf der Metropolisbühne gibt es eine 30-minütige Pause, wonach die Zeit weiter über die zweite Hälfte der Vorstellung auf der Kriegs- und Bunkerbühne dahinfliegt – keine Angst vor Längen, der Abend geht rasend vorüber und endet in mächtigem Beifall: Philipp Stölzl hat seiner Erfolgsbilanz eine weitere Etappe hinzugefügt – auf ihn ist Verlaß.
Wer diesen Rienzi in Berlin sehen will: Am 11. März 2016 ist zum letzten Mal in dieser Spielzeit Gelegenheit dazu. Ansonsten kann der Berliner Wagner-Interessent in diesem Jahr noch den Lohengrin am 5. Mai und am 8. Mai 2016 und den Tannhäuser am 24. März und 27. März 2016 an der Deutschen Oper sehen, besonders ist aber der Tristan unter Donald Runnicles und in der Inszenierung von Graham Vick zu empfehlen: Vorstellungen am 5.,12. und 18. Juni 2016. An der Staatsoper in Berlin wird im Sommer 2016 der Ring in einer neuen Inszenierung gegeben. Zum Schluß noch ein Hinweis für die ganz eisernen Wagner-Fans: Die Oper Leipzig spielt die sehr selten aufgeführten Wagner-Opern Die Feen am 14. und 21. Mai 2016 und Das Liebesverbot am 20. Mai und am 12. Juni 2016.
Diese Rezension erschien zuerst auf Compact-Online. Sie ist noch hier im Webarchiv einzusehen.
Siehe dazu auch: Karl Richter: Richard Wagner, Adolf H. und eine Große Oper (20.10.2022)