Thomas Teufel: Iwan Bilibin und die russische Folklore (31.10.2022)

Vorwort

Iwan Bilibin, Russophobie, westliche Geopolitik, Ukraine-Konflikt, Kultur, Sagen, Märchen, Folklore, kollektives Unterbewusste, Carl Gustav Jung, Archetypen, Ethnologie, Claude Levi-Strauss, Mythos und Bedeutung, Alexander Dugin, Vierte Polititsche Theorie, Eurasianismus, 4. Politische Theorie, 4PT, Eurasismus, Multipolarismus, Multipolarität, Eurasien,
Russische Kultur, Folklore, Kunst, Geschichte

In Hinblick auf die heutige Russophobie als Folge westlicher Geopolitik im Ukraine-Konflikt ist es wichtig, sich neben den wichtigen politischen Themen in Bezug auf Russland auch mit dessen Kultur zu befassen. Die Kultur drückt immerhin die Seele und die daraus resultierende Haltung des „Anderen“ aus und hilft uns diesen zu verstehen und gerecht zu werden. Neben der historischen Ereignisse haben auch die Sagen und Märchen eine besondere Bedeutung. Die Folklore in diesem Sinn bildet so etwas wie das tiefere Band oder das kollektive Unterbewusste wie es Carl Gustav Jung in „Archetypen“ (2022) umschrieb. Die Märchen und Sagen entstanden aus der engen Bindung zwischen Mensch und Landschaft und schaffen somit den tieferen Hintergrund seines Lebens, seiner Möglichkeit, die Welt in einer idealisierten Weise zu sehen, sowie die Rolle des Einzelnen innerhalb eines ganzheitlichen sinnerfüllten Kosmos zu bilden. Durch das „Einfühlen“ in die Folklore des Anderen ohne den Zugang versperrende Vorurteile gelingt es auch gegenüber dem Fremden, sich dessen kollektiven Lebenshintergrund als Band von Mensch und Gemeinschaft anzunähern. Wie bereits der bekannte Ethnologe Claude Levi-Strauss in seinem Buch „Mythos und Bedeutung“ (1992) formulierte, ist jedoch hier die Grundbedingung, ohne Vorurteile der eigenen Subjektivität auf das Andere zu sehen. Die Beschäftigung mit der folkloristischen Welt soll dazu dienen, einen Zugang zu eröffnen sich in das Andere denken zu können, um es schlussendlich auch besser zu verstehen.

Der Illustrator der russischen Märchenwelt

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Iwan Jakowlewitsch Bilibin (Иван Яковлевич Билибин, Ivan Jakovlevič Bilibin), Porträt von Boris Kustodijew

Der 1876 in der Nähe von Sankt Petersburg geborene und 1942 bei der Blockade von Leningrad ums Leben gekommene Iwan Bilibin war ein wichtiger Akteur, der die russische Sagenwelt einem breiten Publikum vermittelte. Bilibin hatte auch eine besondere Beziehung zu Deutschland, er schloss sein Kunststudium bei dem slowenischen Maler Anton Ažbe in München ab. Nach seiner Rückkehr nach Russland wurde er zu ethnologischen Studien nach Nordrussland entsendet. Der russische Norden (1) ist dafür bekannt, viele Elemente des alten Russlands bewahrt zu haben. In der Zeit des am Westen orientierten „Petrismus“ (2) gingen viele Altgläubigen aus Sankt Petersburg dorthin ins Exil. Heute erlebt Nordrussland eine Renaissance in seiner Kultur, man kümmert sich intensiv im gegenwärtigen Russland um die Restauration alter Bauwerke und der Pflege alter Bräuche. Dies findet im Rahmen eines patriotischen Programms statt. Dieses Programm geht auch einher mit der Sicht von Denkern wie Iwan Iljin (3), welche die Besonderheit der russischen Kultur und deren Förderung als eigenen Weg zu einem höheren Gut hin erkannten. Diese drückt sich durch die Kombination der Landschaft, des Klimas aber auch der darin entstehenden Genies sowie der Baukunst aus und führt zu einer Verkörperung der Volksseele. In Nordrussland war es auch, wo Bilibin durch jene ethnologischen Studium eine starke Begeisterung für die Folklore insbesondere und darüber hinaus deren Illustration entwickelte. Es war eine Prägung, die seine Schaffenszeit als Künstler auslöste. Diese Schaffenszeit umfasste zwei verschiedene Epochen der russischen Geschichte, die Zeit des Zarenreiches, wie auch die frühe Sowjetunion bis zu seinem Tod.

Das Werk von Bilibin und seine Symbolik

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Illustration zu Iwan Zarewitsch, der Feuervogel und der graue Wolf

Bilibins Bilder sind getragen von der russischen Natur- und Kulturlandschaft. Der wichtigere Punkt ist aber die Symbolik, als Beispiel nehme man den Feuervogel. Der Feuervogel ist ein beliebtes Symbol der russischen Volkskunst, man findet ihn unter anderen auch in den berühmten Palech-Malereien (4). Hier verweise ich auf das Werk zu Puschkins Märchenerzählungen (5), welches in Zusammenarbeit von Staatlichem Museum in Sankt Petersburg und der Künstler in Palech entstanden ist. Der Feuervogel trägt die typische Symbolik des Imperiums als Weihe des Irdischen durch das Überirdische des Himmels, ähnlich der im Westen geläufigeren Phönix-Symbolik (6). Der jüngste Zarensohn mit reinem Herzen folgt seiner Spur und besteht entsprechende Prüfungen, um sich als würdiger Erbe und Regent eines neuen Zeitalters zu erweisen. Ebenso findet man viele andere archaische Symbolismen, so kann man in der „Baba Yaga“ eine jener mütterlichen Ur-Figuren sehen, die fortan mit den toten Göttern in den Wald verdammt wurden, nachdem die patriarchale Kultur der Rus sich durchsetzte. Hier ist man bei jenen Archetypen von Carl Gustav Jung, wie sie bereits im Vorwort erwähnt wurden. Ein ganz wichtiger Zug ist auch die immer gegebene Anspielung auf den finno-ugrischen Komplex, sowohl der Märchen als auch in Bilibins Bildern. Die Bilder sind neben der prachtvollen Naturdarstellung auch oft besonders mit dem Fliegenpilz verziert. Dieser hat in archaischen Zeiten, besonders bei den sibirischen Stämmen, eine direkt sakrale Bedeutung. Einer, der diese Bedeutung im Kontext des sibirischen Schamanismus treffend umschrieb, war Mircea Eliade in seinem Werk „Schamanismus und archaische Ekstasetechnik“ (1975). Dieser Kulturkomplex ist durchaus auch spannend für den Europäer. Er wird heute vor allem vom ethnozentrischen „Rechten Sektor“ in der Ukraine zu Unrecht diffamiert.

Rezeption in der Sowjetunion

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Aus: Abenteuer im Zauberwald, „Väterchen Frost“ von Alexander Rou

In der UdSSR war der Atheismus Staatsideologie, und die vormalig prägende Orthodoxie galt als reaktionärer Rest und Gegensatz zur Revolution. In weiterer Folge schaffte man viele kirchliche Bräuche ab. Man sah jedoch bald, dass sich jene archaischen Elemente der Folklore hielten; so nahm man beispielsweise diese explizit als Ersatz für die mit der Kirche verbundenen Feierlichkeiten auf. Zum Beispiel verlegte man sämtliche Bräuche auf das neue Jahr, da dieses für die Zukunft stand. So kamen auch die Märchenwelten von Bilibin wieder zur Geltung und fanden ihren Ausdruck in Verfilmungen wie „Abenteuer im Zauberwald“ (1964) und sonstigen Filmen. Man sollte hier auch die Theorie eines Alexander Dugin in „Die vierte politische Theorie“ (2013) zum „Nationalgauchismus“ beachten, die sowjetische Revolution umfasste durchaus die bäuerlichen Stände, wo jene Elemente prägnanter als in den Städten waren. Die marxistische Theorie war ein Mittel, diese gegen den westlichen Einfluss zu mobilisieren. Hierzu muss man bedenken, dass, wie auch der Nationalbolschewist Ernst Niekisch in „Widerstand“ (1982) erkannte, durchaus ein elementarer Archaismus in der Revolution zu finden war. Man sah, wie ich schon beim „Petrismus“ andeutete, in den letzten Tagen des Zarenreiches vermehrt die Gefahr einer Verwestlichung und der einseitigen Orientierung am britischen Empire. Die Sowjetunion stand demgemäß immer in einem Widerspruch – wie ihn Alexander Dugin auch benannte – zwischen der marxistischen Doktrin und jenen Elementen des Archaismus, der sich auch der ländlichen Folklore bediente als etwas Urtümlich-Russischem. Natürlich war der Bolschewismus in seiner marxistischen Form klar modern, jedoch hatte er diese Impulse und erschien somit als russische Antwort auf den Westen. Auch der englische Historiker Arnold Toynbee erkannte den Charakter des Bolschewismus in seinem Werk „Die Welt und der Westen“ (1953). Heute kommt es vor allem in manchen europäischen rechten Kreisen oftmals zu Diskussionen, wie Russland sich zugleich der sowjetisch-bolschewistischen Symbolik und der stark orthodox-konservativen Wiedergeburt bedienen kann. Man sollte hier diesen Aspekt beachten, um sich ein umfassenderes Bild zu jener „Sowjet-Nostalgie“ zu bilden. Auch um zu verstehen, wie sie sich hinsichtlich einer Rückbesinnung auf die eigene Identität verhält, ohne den Marxismus (vor allem jenen westlicher Prägung) zu hofieren.

Empfehlung und Fazit

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Russische Märchen mit Bildern von Iwan Bilibin aus dem Alfa-Veda Verlag (2020)

Die Werke von Bilibin sind ein sehr guter Einstieg in die Welt der russischen Folklore, um auch Russland besser verstehen zu können. Dies fern der im Westen allzu geläufigen Stereotype, die im Laufe des erwähnten Ukraine-Konfliktes nun wieder in ihren negativsten Ausprägungen (ähnlich wie im Kalten Krieg) fröhliche Urständ feiern. Hier sei das Buch „Russische Märchen“ aus dem Alfa-Veda Verlag empfohlen, da es auch eine der besten Übersetzungen der russischen Märchen in deutscher Sprache ist. Ebenso sollte man sich mit den Filmen aus der Sowjetzeit befassen. Mittlerweile sind diese sehr günstig erhältlich in der Reihe „Märchen Klassiker“ (7), welche sich extra den alten Märchenfilmen des Ostblocks zuwendet. Man findet jedoch auch viele direkt bei diversen Videoportalen im Weltnetz, darunter das oben erwähnte „Abenteuer im Zauberwald“.

(1) Siehe:
https://de.rbth.com/reisen/86715-was-ist-so-besonders-am-russischen-norden

(2) Petrismus meint die Zeit Peters des Großen, die von vielen an den Westen angelehnten Reformen geprägt war, um Russland zu modernisieren. Insbesondere Sankt Petersburg wurde davon geprägt.

(3) „Jedes Volk erlebt auf eigene Art das gesamte Leben und den Tod. Jedes Volk hat ein einzigartiges Pflichtbewusstsein und Rechtsbewusstsein, ein eigenartiges Niveau der Tugend und der Laster, eigentümliche Sitten und Bräuche, ein einzigartiges Temperament und ein eigenes Familienwesen.“ Iwan Iljin – Die ewigen Grundlagen des Lebens (1939)

(4) Bei Palech handelt es sich um eine traditionelle russische Schule der Lackminiaturmalerei um die Ortschaft Palech, welche viele Motive der russischen Tradition behandelt und eine große Bekanntheit in Russland genießt.

(5) „Puschkin-Märchen“, herausgegeben vom Kunstverlag Sankt Petersburg (2014)

(6) Der Phönix symbolisiert seinen eigenen Untergang zur Asche, um aus dieser wieder neu zu entstehen und steht somit mit der sinkenden und aufsteigenden Sonne in Verbindung, aber auch mit dem Reich als Idee der Ordnung.

(7) Siehe: Russische Märchen – Der Ostfilm (der-ostfilm.de)

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