Peter Töpfer: Was ist Post-Philosophie? Was ist Tiefe? (16.06.2020)

Post-Philosophie, Philosophie, Hans-Dietrich Sander, Die Auflösung aller Dinge. Zur Geschichtlichen Lage des Judentums in den Metamorphosen der Moderne, Nietzsche, Schopenhauer , Heidegger, Vincent Reynouard, Germar Rudolf, Wolfgang Fröhlich,
Hans-Dietrich Sander: „Die Koinzidenz der existentiellen Erfüllung im Rausch des unmittelbaren Augenblicks und des Ausdrucks in der Kunst gehört zu den großen sinngebenden Ideen in der Geschichte der Philosophie.“ (Die Auflösung aller Dinge. Zur Geschichtlichen Lage des Judentums in den Metamorphosen der Moderne, Castel del Monte München o.J. [1988], S. 128)

I.

Das heutige intellektuelle Publikum adoriert die alten Philosophen wie beispielsweise Nietzsche, Schopenhauer oder Heidegger, rühmt deren Tiefe, raunt gar von „Abgründen“.

Aber was für eine Tiefe soll das sein, wenn nicht Gefühle transportiert werden? Wo bitte schön sind die tatsächlichen Tiefen von Nietzsche? Falls vorhanden gewesen (ansatzweise sicherlich): warum diese nicht zeigen, so wie er seine Gedanken gezeigt hat? In welcher Bibel steht geschrieben, daß ein Mensch, der sich berufen fühlt, aus welchen Gründen auch immer etwas von sich mitteilen zu müssen, nur Gedanken, und nicht auch Gefühle, mitzuteilen hat, wenn es ihm darum geht, Tiefe zu zeigen? Wieso gibt es dort eine Trennwand zwischen Gedanken und Gefühlen?

Was können im Falle eines Nietzsches möglicherweise Gründe dafür gewesen sein, daß er sich mitteilen wollte? Wollte er nicht – jenseits eines intellektuellen, philosophischen oder weltanschaulichen Kampfes, jenseits von Rechthaberei – etwas von sich zeigen? Wollte er nicht das zeigen, was er als wahr erkannt hat und was ihm bisher zu kurz gekommen schien oder was er bisher für vernachlässigt betrachtete? Wollte er nicht zeigen, was ihn (und mit ihm die Gattung Mensch) überhaupt wirklich ausmacht? Wollte er nicht seine Wahrheit in aller, ja letzter Gründlichkeit und bis zur Ausschöpfung darstellen? Lag darin vielleicht einer der Gründe? Einmal das ganze elendige Leid, die Tragödie der Menschheit, wirklich zeigen?

Wieso blieb er dann auf dem Weg in diese Gründlichkeit bei Texten stehen? Ist das das geeignete Medium zur Darstellung des Seelengrundes? Wenn man in die Tiefen der Seele geht – wieso läßt man nicht die Seele selbst sprechen? 

Spricht die Seele druckreife Sätze? Oder will man gar ernsthaft behaupten, das Tiefste, was ein Mensch darstellen kann, sind Texte?

Jetzt mag man einwenden: die Philosophen geben nur Nachricht von Gängen in die Gründe ihrer Seele; sie schreiben nur über diese Erfahrungen; diese finden im stillen Kämmerlein statt. 

Ich bezweifle das, ich halte die Philosophen für das, was sie sind: Philosophen, d.h. verkopft. Sie haben keine tiefen Gefühle, ihre Tiefe ist gedanklicher Natur. Man mag einwenden: wir meinen die „gedankliche Tiefe“! – Also Fläche. 

Wenn das nicht so wäre, würden sich die Philosophen nicht den Kopf zerbrechen; sonst hätten sie gar nicht geschrieben – oder sich um ein anderes Medium gekümmert. 

Aber was ist dann überhaupt noch der Wert von diesem Darüber, wenn ich auch direkt davon sprechen, wenn ich doch den Inhalt unmittelbar zeigen kann? 

Man muß das nicht, man muß nicht in die Tiefe gehen; man kann sehr wohl auch über etwas schreiben. Nur: verdient das dann die Bezeichnung „tief“? 

Sind Wörter und Sätze tatsächlich die tiefsten Manifestationen eines Menschen? Wenn man diesen Anspruch der Tiefe hat – warum dann nicht direkt aus der Tiefe sprechen? Haben Instinkte nicht auch eine „Sprache“ – ihre eigene „Sprache“?

Die Philosophen haben nicht nur nicht de profundis geschrieben und nicht nur nicht ihre Gefühle als tatsächliche Manifestationen der Tiefe mitgeteilt, sondern sie haben innerlich und tatsächlich – für sich, auch im stillen Kämmerlein – halt gemacht an der Schwelle zur wirklichen Tiefe. 

Ein einziger (mir bekannter) Philosoph hat dieses eitle, schnöde und feige Treiben beendet. Er hat nur ein einziges Buch geschrieben und darin noch einmal – intellektuell sehr gründlich – mitgeteilt, daß er und warum er das Philosophieren beendet hat.

Und danach war’s das gewesen mit der Philosophie.

Deswegen ist Max Stirner der erste Post-Philosoph. Er schrieb im Einzigen und sein Eigenthum: „Ein Ruck tut Mir die Dienste des sorglichsten Denkens, ein Recken der Glieder schüttelt die Qual der Gedanken ab, ein Aufspringen schleudert den Alp der religiösen Welt von der Brust, ein aufjauchzendes Juchhe wirft jahrelange Lasten ab. Aber die ungeheure Bedeutung des gedankenlosen Jauchzens konnte in der langen Nacht des Denkens und Glaubens nicht erkannt werden.“

Der „Ruck“, das „Recken“, das „Schütteln“, das „Aufspringen“, das „Aufjauchzen“, das „Juchhe“ – sind das nicht tiefere Manifestationen als Wörter und Sätze?

Nun mag man einwenden, daß man sich nicht für das „Juchhe“ eines Post-Philosophen interessiere. Legitim! Aber warum sprecht Ihr dann adorierend von der „Tiefe“ Eurer Philosophen-Idole? 

Ach, Ihr könnt in einem „Juchhe“ gar nichts Tiefes erkennen? Euch ist das „Jauchzen“ sicherlich zu simpel, zu flach; es ist ja kein tiefer Geist, keine tiefen Gedanken! 

Stirner kennt Euch (er weiß auch, daß Ihr ein „Juchhe!“ gering achtet, weil Ihr es nicht sagen könnt), er läßt Euch im nächsten Satz sprechen: „‚Welche Plumpheit und Frivolität, durch ein Abbrechen die schwierigsten Probleme lösen, die umfassendsten Aufgaben erledigen zu wollen!'“ 

Stirner kennt sich aus im Reich des Geistes, er ist mitleidig und hilfsbereit: „Hast Du aber Aufgaben, wenn Du sie Dir nicht stellst? So lange Du sie stellst, wirst Du nicht von ihnen lassen, und Ich habe ja nichts dagegen, daß Du denkst und denkend tausend Gedanken erschaffest. Aber Du, der Du die Aufgaben gestellt hast, sollst Du sie nicht wieder umwerfen können? Mußt Du an diese Aufgaben gebunden sein, und müssen sie zu absoluten Aufgaben werden?“ 

Die Post-Philosophie ist das „aufjauchzende Juchhe“ – das natürlich das Denken nicht ausschließt; aber wenn die Philosophen die Abgründe ausloten wollten – dafür werden sie ja adoriert –, dann hätten sie das ausschließliche Denken hinter sich lassen müssen. 

Das tut die Post-Philosophie. 

Die Post-Philosophie nimmt aber beim „aufjauchzenden Juchhe“ nur ihren Ausgangspunkt; das „aufjauchzende Juchhe“ ist nur die Pforte in die Tiefe. Max Stirner wußte nur wenig darüber, was sich hinter dieser Pforte befindet: wenig Jauchzen, kaum Juchhe… Es waren schon andere Gefühle, die manche Menschen in die Philosophie getrieben haben…

Eine Ahnung davon, was hinter oder unter – denn es geht gleich hinab ins Verließ – der Pforte kommt, könnt Ihr bekommen, wenn Ihr Euch nur vorstellt, was geschieht, wenn Ihr daran denkt, die oben von Stirner genannte „Aufgabe“ – aufzugeben.


II.

In eine angebliche „Tiefe“ gehen, ohne Gefühle zu zeigen – das erinnert an die sog. Truther. 

Diese haben sich die „Wahrheit“ (the truth) auf die Fahne geschrieben. Aber abgesehen davon, daß sie die innere, die persönliche Wahrheit nicht berühren und es ihnen nur um die äußere Wahrheit geht, lassen sie – dabei immer laut vom „Mut zur Wahrheit“ faselnd – die entscheidende dieser äußeren (politischen) Wahrheiten komplett außen vor und sparen bei ihren „Enthüllungen“ großzügig die Propagandalügen der Alliierten aus. 

Die Wahrheitsliebenden mögen nun analog zu den Weisheitsliebenden einwenden: „Erstens geht es uns gar nicht um persönliche, existentielle Wahrheiten, denn unser Volk leidet nur unter dem Joch der politischen Lüge; und zweitens ist das Aussprechen von historischen Wahrheiten unter Strafe gestellt.“

Gut, das sei so. Aber die Frage lautet dann, ob unter diesen Umständen noch von „Wahrheit“ gesprochen werden kann – analog zu der Frage, ob die Manifestationen der Weisheitsliebenden als „tief“ bezeichnet werden können, wenn sie im Bereich von Texten bleiben. 

Ich rate den Weisheitsfreunden aufzuhören, von „Tiefe“ zu sprechen, wo es nur um Geist und Gedanken geht. Und ich rate den Wahrheitsfreunden aufzuhören, von Wahrheit zu sprechen, wenn sie nicht auch tatsächlich ihre Wahrheiten aussprechen. 

Wenn sie wirklich Freunde und Prätendenten der Wahrheit sind – warum gehen sie dann nicht ins Exil, wie es z.B. Vincent Reynouard oder Germar Rudolf getan haben? Wäre das nicht ein angemessener Preis für die Wahrheit? 

Nein, das möchten wir nicht. Aber wir möchten trotzdem weiter von der Wahrheit sprechen!

Ja, aber das geht nicht. I can’t help it. 

Ich erwarte von niemandem, daß er teuer für Wahrheit bezahlt, und habe größtes Verständnis dafür, wenn jemand in der Heimat bleiben will. Aber dann töne ich nicht den ganzen Tag herum von der „Wahrheit“! Dann sage ich: „Ich darf nicht sagen, was ich als wahr herausgefunden habe.“ 

Ich erwarte auch von niemanden, daß er seine Freiheit opfert und ins Gefängnis geht, wie es u.a. Wolfgang Fröhlich, Germar Rudolf, Ernst Zündel und Vincent Reynouard getan haben und Horst Mahler es noch heute tut. Aber dann töne ich nicht herum und sage, daß ich Kämpfer für die Wahrheit bin und die Wahrheit sage. Dann sage ich: „Es ist mir nicht gestattet, das zu sagen, was ich in bezug auf Propagandainhalte aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges erkannt habe.“ – Das wäre schon mal eine relevante Wahrheit – die obendrein kein Opfer verlangt, denn dies in seiner Abstraktheit wird in Deutschland noch nicht bestraft. 

Man könnte dann freilich nicht auf seiner Brust herumtrommeln und sich selbst als „mutig“ loben. Aber das wäre zumindest schon mal sehr nützlich; es würde eine Pforte dahin darstellen, wo die Wahrheiten liegen und wo man sie eines Tages auch aussprechen kann. 

Aber das ist unseren Youtubern zu unspektakulär und bringt keine Spendengelder. 

Die Frage ist: Was ist ein angemessenes Opfer, das man nun mal offensichtlich zu bringen hat, wenn man sich „Truther“ schimpfen möchte? Ist ein Exil in England (wo Vincent Reynouard heute lebt) ein zu großes Opfer? 

Wohlgemerkt: Niemand muß ein Kämpfer für die Wahrheit sein; wir wissen, daß das empfindliche Opfer kostet. Doch dann ist man ehrlich und sagt die Wahrheit: daß man die Wahrheit nicht sagen darf. Oder man hält ganz die Klappe – der Optionen gibt es viele. 

Ganz übel wird es dann, wenn die „Truther“ es sich mit keiner Silbe abringen, wenigstens einmal auf das Opfer der wirklichen und tätigen Wahrheitsliebenden hinzuweisen: daß diese im Exil oder im Knast sitzen. Da könnte ja eine Zacke aus der Heldenkrone fallen. 

Aber um die „Truther“ sollte es in diesem Text eigentlich gar nicht gehen. Die Truther sollten nur eine Analogie zu einer, nur ein Bild für eine Prätention sein, die auf einem anderen Gebiet – das Ausloten von menschlichen Tiefen, das angeblich manche Philosophen bewerkstelligt haben – immer noch stattfindet und die ein für alle Male beendet gehört. 


Erschien zuerst hier und hier.