Stefan H. Heuer: Märchen aus Moskau (02.02.2025)

Moskau, TASS, Baschar, Damaskus, Syrien, Hayat Tahrir al-Sham-Gruppe, Al-Qaeda, ISIS, Russland, Putin,

Üblicherweise ist das Studium der Veröffentlichungen der russischen Nachrichtenagentur TASS ungefähr so spannend wie die Buchführung eines Herrenfriseurs. Aber manchmal liefert TASS auch Preziosen. Insbesondere die „Presseberichte“ sind mitunter interessant, wenn man das übergeordnete geopolitische Theater und die dazu aufgestellten Kulissen im Blick hat. Dem Leser wird die russische Sicht auf die Entwicklungen in der Welt im sachlichen Tonfall, und damit im Kontrast zum vulgär-emotionalen Geschrei der westlichen Lügenmäuler und Mietschreiber, zur Kenntnis gebracht.

Im TASS-„Pressebericht 1906803“ vom 31.01.2025 war zu lesen:

„Am 28. Januar besuchte eine russische Behördendelegation zum ersten Mal seit dem Führungswechsel Syrien. ‚Der Besuch war konstruktiv. Unmittelbar nach der Reise der russischen Diplomaten wurde die Hayat Tahrir al-Sham-Gruppe (geächtet in Russland) aufgelöst, während al-Sharaa die Präsidentschaft und eine zivile Rolle übernahm. Das gibt Hoffnung, dass ein Dialog mit ihm möglich ist. Die Zusammenarbeit mit Bashar Assad stand letztes Jahr vor ernsthaften Hürden; in vielerlei Hinsicht stand sie still. Insbesondere ignorierte Assad alle unsere Vorschläge zur Stärkung der Beziehungen zur Türkei. Die Situation könnte sich unter der neuen Regierung ändern'[…].“ (Übersetzung aus dem Englischen; SH)

https://tass.com/pressreview/1906803

Man lese und staune!

Weil der Bashar aus Damaskus einfach den russischen Vorschlägen nicht folgen wollte, ist er jetzt eben weg. Da ist er doch selbst schuld, klar! Und Rußland, das stets und überall nur das Beste will, mußte, angesichts der neuen Realitäten in Syrien, wie sie sich nun einmal ergeben haben, weil der Bashar aus Damaskus nicht geschmeidig genug gewesen ist für diese Welt, mit den neuen Herren arrangieren. Das Leben geht weiter und will gestaltet werden. Das versteht doch jeder Mensch!

Zur Erklärung:

Die „Hayat Tahrir al-Sham-Gruppe (geächtet in Russland)“ ist eben jene Al-Qaeda- und ISIS-Abspaltung, die von dem Herrn mit dem romantischen Kampfnamen Abu Muhammad al-Jolani geführt worden ist. In der deutschsprachigen „Wikipedia“ stand bis vor kurzem noch über ihn zu lesen: „Ahmad Husain asch-Schar’a […] ist seit 2017 der Anführer des syrischen Milizbündnisses Haiʾat Tahrir asch-Scham. Er war Gründer und von 2012 bis 2016 Anführer der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestuften al-Nusra-Front.“ (Hinweis: Dies ist der ursprüngliche Text der deutschsprachigen Wikipedia. Mittlerweile ist der Wikipedia-Artikel verändert worden: https://de.wikipedia.org/wiki/Ahmed_al-Scharaa).

Diese „Al-Nusra-Front“ gilt als ’syrische‘ Al-Qaeda. Und Al-Qaeda, das weiß dank der westlichen Wahrheitsmedien jedes Kind, waren die Terroristen um Osma Bin Laden, die ganz viele  Amerikaner in Neu York umgebracht hatten. Also die Bösen, deretwegen die VSA mit ihren Helfern Afghanistan und Irak zu Staub zerbombt hatten. In Syrien waren diese Bösen dann aber, genau wie kurz zuvor in Libyen, die Guten gewesen, also „moderate Rebellen“ oder „die syrische Opposition“ (https://syrianews.cc/encyclopedia/moderate-rebels/), als die sie von der BRD-Regierung offiziell unterstützt worden sind. Diese „Opposition“ hat sich seit 2011 durch zivilisatorische Großtaten wie Vergewaltigungen, Enthauptungen, Terroranschläge auf Zivilisten (https://syrianews.cc/real-news-from-syria-suicide-car-bomb-in-jaramana-damascus/), Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser, Entführungen, Ermordung von Geistlichen (https://syrianews.cc/real-news-from-syria-orthodox-priest-kidnapped-and-executed-by-us-nato-sponsored-rebels/) und Lösegelderpressungen, außergerichtliche Hinrichtungen, Mord und Totschlag (https://syrianews.cc/real-news-from-syria-graphic-images-idleb-free-army-executed-more-than-15-civilians-in-cold-blood/) einen Namen gemacht. Das kann jeder wissen, der es wissen will; die Seite www.syrianews.cc hat darüber in hunderten von präzise recherchierten Artikeln berichtet (vgl. https://syrianews.cc/nato-terrorists-blow-up-civilian-bus-in-raqqa-thirteen-murdered/, https://syrianews.cc/terrorists-in-syria-detonate-vehicle-with-farmworkers-eight-murdered-30-injured/, https://syrianews.cc/nato-terrorists-bomb-electrical-feed-to-alouk-water-plant-in-syria/).

Diese Art von “Moderaten“ sind nun in Syrien an die Macht gekommen und der Al-Qaeda-ISIS-HTS-Boss Al-Jolani – jetzt nur noch der Herr „al-Sharaa“ – hat „die Präsidentschaft“ und „eine zivile Rolle“ eingenommen (TASS). Die Frage, wer ihn als Präsident Syriens und des syrischen Volkes autorisiert hat, stellen selbstverständlich einmal wieder nur die Falschen.

Zurück zum TASS-Artikel: Der starrköpfige Bashar aus Damaskus, also der Typ, der vor dem zivilen Herrn „„al-Sharaa“ die Präsidentschaft inne gehabt hatte (vom Volk gemäß der geltenden Verfassung autorisiert), habe  alle russischen „Vorschläge zur Stärkung der Beziehungen zur Türkei“ einfach „ignoriert“, weshalb  die Zusammenarbeit mit ihm „vor ernsthaften Hürden“ gestanden und sogar „in vielerlei Hinsicht“ stillgestanden hatte. Daß solche sture Uneinsichtigkeit letztlich schiefgehen muß, und daß Rußland nichts dafür kann, versteht jedes Kind.

Wie hatten diese russischen „Vorschläge“ denn ausgesehen?

Hier ein paar Kostproben:

  • Im „Astana-Format“ entschieden Lavrov und seine Kollegen aus Ankara und Teheran über Syrien – ohne Syriens Beteiligung. Das macht man eben so. Das ist Kolonialismus und ein Bruch der Charta der vereinten Nationen. Die ohne Syrien erzielten Vereinbarungen wurden der legitimen syrischen Regierung mittels russischer de-facto-Erpressung (Androhung des Abzugs der russischen Truppen) aufgezwungen.
  • Im „Doha-Forum“ parlierten Lavrov und seine Kollegen aus dem Iran und der Türkei über Syrien – ohne Syriens Beteiligung. Am 06. Dezember 2024 fand das letzte Treffen dieser Herren in der katarischen Hauptstadt statt. Das war zwei Tage vor dem Fall von Damaskus in die Hände der türkisch-israelischen Kopfabschneider von HTS. Der Außenminister der Türkei, der mit Lavrov und seinem iranischen Kollegen über Syriens Schicksal beraten hatte, heißt Hakan Fidan (https://www.mfa.gov.tr/minister-of-fa-info.en.mfa). Dieser Hakan Fidan hatte von Präsident Assad weitestgehende Autonomierechte für seine moderaten Kopfabschneider in Syrien gefordert. Das hätte zwangsläufig eine Umwandlung Syriens von einem Zentralstaat zu einer lockeren Föderation nach dem Vorbild des NATO-Zöglings Bosnien bedeutet (https://korybko.substack.com/p/this-weekends-astana-summit-is-likely?utm_source=publication-search). In diesem föderalisierten Syrien hätte die Türkei mittels ihrer zehntausenden Al-Qada-HTS-Terroristen massiv Einfluß bis auf die Zentralgewalt hin  errungen. Von 2010-2023, also genau im Zeitraum der  türkischen Aggression gegen Syrien, ist Herr Fidan Chef des türkischen Geheimdienstes „MIT“ (https://en.wikipedia.org/wiki/Hakan_Fidan) und als solcher mitverantwortlich für den türkischen Terror gegen Syrien gewesen. Herr Fidan verfügt auch über jene besondere Art von Humor, die Politikern eigen zu sein scheint: nach dem Sieg der türkisch-israelischen Hilfskräfte in Syrien, nach der Ermordung von hunderttausenden Menschen, der Zerstörung der zivilen Infrastruktur und damit der Lebensbedingungen von Millionen von Menschen, spricht dieser Herr über die HTS jetzt von Ankaras „Engagement für die Stabilität Syriens und die regionale Sicherheit“  (https://www.hurriyetdailynews.com/fm-highlights-ankaras-commitment-to-syrian-stability-regional-peace-204381).
  • Währenddessen arbeiteten russische Diplomaten bereits mit Regierungsvertretern der VSA eine neue Verfassung für Syrien aus, die wesentliche Befugnisse des Präsidenten wegnehmen und angeblich die Macht der regionalen Verwaltungen stärken sollte (https://syrianews.cc/constitution-russia-usa-syria/). Wem das wohl genutzt hätte? Die gültige, vom syrischen Volk bestätigte Verfassung wurde von Rußland und den VSA nicht beachtet. Das macht man eben so, und das ist Kolonialismus in offenkundiger Verletzung der VN-Charta.
    Stellen wir uns einfach einmal vor: Das, was Rußland mit den VSA und der Türkei für Syrien entschieden hatten, hätten fremde Mächte für die VSA entschieden und den VSA aufgezwungen. Ich denke, Sie verstehen den Gedanken: das wäre gänzlich undenkbar. Im Falle Syriens war dieser arrogante und brutale Kolonialismus und das Paktieren des angeblichen Alliierten Rußland mit Syriens Feinden denkbar und der Normalfall gewesen.
  • Währenddessen bombardierte die türkische Armee, die VSA und auch „Israel“ die Syrische Arabische Armee (die einzige SYRISCHE Militärmacht, die legal innerhalb Syriens operierte). Die Türkei verstärkte die Terrorbrigaden der HTS in Idlib, der türkisch-besetzten Enklave innerhalb Syriens. Türkische und russische Soldaten fuhren gemeinsam Kontrollen und hinderten die SAA daran, die Terrorpest in Idlib zu vernichten. Von Idlib jedoch starteten die türkisch-VSA-NATO-EU-unterstützten HTS-Banditen regelmäßig ihre Angriffe z.B. auf Aleppo. „Israelische“ Jets flogen in schönster Regelmäßigkeit Angriffe auf die SAA sowie in gesteigertem Maße auf Zivilisten in Syrien (https://syrianews.cc/israel-bombs-damascus-apartment-house-murders-nine/, https://syrianews.cc/israel-bombs-aleppo-intl-airport-2nd-such-war-crime-this-month/). Nachdem Syrien seine als Abschreckung gedachten Chemiewaffen auf Druck Lavrovs 2014 abgegeben hatte, dankte es ihm der Westen mit einer Verstärkung der Bombardierungen von Frauen, Kindern und ziviler Infrastruktur sowie der ungezügelten Fortsetzung der Chemiewaffen-Lügen in den Medien und in den Vereinten Nationen (https://syrianews.cc/chemical-file-fetishists-hold-99th-bathhouse-meeting-to-lie-about-syria/).
  • Die von Syrien gekaufte und von Rußland genehmigte Luftabwehreinheit S-300 ist bis zum Schluß nie zum Einsatz gekommen, weil es sie nie gegeben hatte – während die Türkei, immerhin ein Mitglied des aggressiven antirussischen Bündnisses NATO – sofort nach Bestellung eine schicke neue S-400 von Moskau geliefert bekommen hat. Ja, so geht man mit Alliierten um, nicht wahr? 
  • Rußland hatte Präsident Assad dazu gezwungen, die Terrorzelle der Al-Qaeda-HTS in Idlib zu akzeptieren. Somit erreichten die von Hakan Fidan gelenkten Terroristen die Herrschaft über ein ganzes syrisches Gouvernement. Die Voraussetzung dazu hatte Rußland geschaffen: überall dort, wo die SAA drohte, eine Terroristengruppe militärisch zu eliminieren, kamen die Russen, stoppten die SAA und boten diesen Terroristen (Mörder von Frauen und Kindern, Vergewaltiger, Kopfabschneider, Plünderer) mit ihren leichten Waffen einen sicheren Abzug nach Idlib (die berühmten grünen Busse, erinnern Sie sich?). Dort nahm sich die Türkei (Hakan Fidans MIT) der Zugezogenen an, versorgte sie mit schweren Waffen, bildete sie aus und verstärkte ihre Reihen durch aus allen Winkeln dieses Planeten neu angeworbene Fachkräfte für Plündern, Vergewaltigen und Morden. Die SAA durfte ins Blaue gucken.
  • Rußland hatte Präsident Assad mehrfach aufgefordert, sich mit dem türkischen Präsidenten Erdogan zu treffen. Erdogan hat maßgeblichen Anteil an dem Terrorkrieg des Westens und der arabischen Potentaten gegen Rußlands Verbündeten Syrien. Diesem Stellvertreterkrieg mittels Terrorismus sind hunderttausende Syrer zum Opfer gefallen, die uralte Kulturnation hat er verwüstet. Erdogan war es auch gewesen, der 2012 dutzende Fabriken in Aleppo von seinen Al-Qaeda-Freunden hatte plündern und als Hehlerware in die Türkei verbringen lassen. Erdogan war es auch gewesen, der das syrische Öl von ISIS hatte stehlen lassen (https://www.reuters.com/article/world/russia-says-it-has-proof-turkey-involved-in-islamic-state-oil-trade-idUSKBN0TL19Q/), bevor der Diebstahl unter Präsident Trump von den VSA  übernommen worden ist (https://www.bbc.com/news/50464561).
    Präsident Assad hatte den „Vorschlag“, sich mit Erdogan zu treffen, stets mit der Forderung beantwortet, erst müßten die türkischen Truppen aus Syrien abgezogen werden (https://syrianews.cc/assad-no-meeting-with-erdogan-without-turkish-withdrawal-from-syria/). Nach den schrecklichen Taten der Türkei in Syrien, die man wohl mit „Plündern, Zerstören, Morden, Okkupieren,  Annektieren“ zusammenfassen muß, ist diese Forderung eine militärisch-taktische Notwendigkeit gewesen. Präsident Assad hat mitnichten die sogenannten „Vorschläge“ des Kreml „ignoriert“, sondern sie mit einer nachvollziehbaren Bedingung verbunden beantwortet. TASS erzählt also Märchen (um das harte Wort Lügen zu vermeiden).

Ich denke, die Aufzählung russischer „Vorschläge“ verdeutlicht, was seit mindestens 2016 für jeden, der sich mit dem Krieg gegen Syrien beschäftigt hat, völlig klar gewesen ist. Rußland hat Syrien nicht bis zu dem angeblichen Zusammenbruch der SAA im Dezember 2024 unterstützt. Tatsächlich hatte Rußland schon lange zuvor mit den Feinden Syriens konspiriert (https://syrianews.cc/geopolitical-confabulation-ides-march/).

Die von Präsident Putin selbst verkündeten Ziele des militärischen Einsatzes in Syrien – die Vernichtung des Terrorismus innerhalb Syriens – hat Rußland nicht erreicht https://syrianews.cc/after-damascus-tehran-and-moscow-are-next/). Rußland hat stattdessen dazu beigetragen, daß im Dezember 2024 genau jene Terroristen in Syrien an die Macht gelangt sind, die von VSA, EU, NATO und arabischen Potentaten seit 2011 auf Syrien losgelassen worden sind, um die Syrische Arabische Republik als Widerstand gegen „Israel“ sowie als Verbündeten Rußlands auszuschalten. Welche schrecklichen Folgen die jetzige Situation für Millionen Menschen in Syrien bedeutet, scheint für die Beteiligten an dem Spiel unerheblich zu sein.

Zum Abschluß schreibt die TASS, einen russischen Analytiker zitierend: „‘Die Situation könnte sich unter der neuen Regierung ändern'[…].“

Und, voilà, das hat sie bereits: Vor kurzem hat die HTS-Bande, die sich jetzt „Regierung“ nennt, den russisch-syrischen Pachtvertrag für den Hafen von Tartus gekündigt. Das kann sich als fatal erweisen: „Der Hafen von Tartus, Syriens zweitgrößter nach Latakia, ist ein wichtiger Knotenpunkt im Mittelmeer […] und beherbergt Russlands einzige Marinebasis in der Region. Der 1971 von der Sowjetunion errichtete und 2017 erweiterte Stützpunkt diente als strategischer Vorposten für russische Militäroperationen im Nahen Osten.“  (https://english.almayadeen.net/news/politics/damascus-authorities-terminates-russian-contract-for-tartus). Der Bashar aus Damaskus hatte 2019 auf sämtliche Pachtgebühren sowie auf 65 % der Einnahmen des Hafens zugunsten einer russischen Investition in dessen Ausbau verzichtet. Welch ein Sturkopf.

Rußlands Führung hat hinterhältig gegen einen langjährigen Freund gearbeitet, der sich selbst geopfert hatte, um Rußlands Interessen zu schützen (https://www.patreon.com/posts/all-syria-needed-118263983). Man muß über eine ganz spezielle Art von Intelligenz verfügen, um ein derartiges Handeln als strategische Weitsicht im Interesse Rußlands verstehen zu können (vgl. https://www.paulcraigroberts.org/2024/12/19/is-putin-capable-of-strategic-thinking/).

Diejenigen, welche seit 2011 den Terrorkrieg gegen Syrien beobachtet und analysiert haben, müssen sich bestätigt fühlen, da sich jetzt bewahrheitet, was nur von den Putinverehrern noch geleugnet wird.

Die Nationen sollten genau hinsehen und lernen.

Stefan H. Heuer, M.A., geboren 1964, Historiker, hat als Dozent in der Erwachsenenbildung sowie in der Personalentwicklung u.a. eines international tätigen VS-amerikanischen Dienstleistungsunternehmens gearbeitet.